Im Gespräch mit...

...DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig: "Wir haben immer sachlich argumentiert"

20.04.2013, 14:19 Uhr von:  SSC
...DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig: "Wir haben immer sachlich argumentiert"
Andreas Rettig, DFL-Geschäftsführer, bei einer Podiumsdiskussion in Nürnberg

Seit Januar ist Andreas Rettig neuer Geschäftsführer der DFL. Die ersten Wochen und Monate seiner Amtszeit waren wesentlich geprägt von den Nachwirkungen der Debatte um das Sicherheitskonzept und die Ereignisse rund um den 12. Dezember. Für uns Anlass genug, Andreas Rettig um ein Interview zu bitten und – so gut man sich mit ihm erwiesenermaßen über die schönen Seiten des Fußballs unterhalten kann – die unangenehmen Fragen in den Mittelpunkt zu rücken.

Andreas Rettig zeigte sich für diese kritischen Nachfragen aufgeschlossen, gab interessante Antworten und bot vielfach schlüssige Erklärungen. Leider hat nur ein Teil von ihnen die Autorisierung im Wortlaut überlebt, doch ist ein für DFL-Maßstäbe noch immer sehr langes und hoffentlich lesenswertes Interview entstanden.

Wir bitten um besondere Beachtung: Das Interview ist seitens der DFL „nur in dieser Form und im Gesamtzusammenhang autorisiert“, ein Bild (Großaufnahme Andreas Rettig) stammt von der DFL.

schwatzgelb.de: Herr Rettig, wenn Sie sich einen perfekten Fußballtag vorstellen, von der Anreise bis zur Rückkehr nach Hause – wie sähe ein solcher Tag für Sie aus?

Andreas Rettig: Einige Leute werden es vielleicht nicht glauben, aber auch Funktionäre können eingefleischte Fußballfans sein. Ich würde mir wünschen, dass ich mir ein Spiel an einem Samstagnachmittag ansehen könnte. Dann würde ich einen Freund mitnehmen und am liebsten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Bei aller gebotenen Neutralität würde ich mir wünschen, dass es spannend ist, viele Tore fallen und ich so gut gelaunt nach Hause fahren und noch Tage später davon erzählen kann. Dabei bliebe es selbstverständlich von Anfang bis Ende friedlich.

Glauben Sie, dass Stadionbesucher in den Fußballbundesligen derartige Tage regelmäßig erleben?

Andreas Rettig: Ja.

Andreas Rettig, DFL-Geschäftsführer
© Bildquelle: DFL

Diesen Eindruck gewinnt man nicht unbedingt, wenn man die Berichterstattung gewisser Medien verfolgt. Warum ist so oft von Problemen die Rede, wenn es um die Bundesligaspieltage geht?

Andreas Rettig: Ich rede von meinen Wünschen und Vorstellungen. Wir können aber auch über Probleme sprechen, wenn Sie das möchten.

Wenn Sie es mir nicht übel nehmen, würde ich heute tatsächlich lieber über Probleme reden, wie sie entstehen und was wir zu ihrer Lösung beitragen können. Wie viele der 612 Spiele in der Bundesliga und 2. Bundesliga verursachen die Probleme, von denen wir so viel hören?

Andreas Rettig: Dazu müssten wir zunächst eine andere ganz wichtige Frage beantworten: Worüber sprechen wir überhaupt? Reden wir davon, dass Fangruppen vielleicht eine etwas beschwerlichere Anreise haben, weil sie durch Sperren oder Einsatzleitungen anders geführt werden, als ihnen lieb wäre? Oder geht es darum, dass sich die Wege rivalisierender Fangruppen kreuzen und sie sich nicht nur verbal näher kommen? Ich glaube, dass das Empfinden genauso heterogen ist wie die Fanstruktur und die einzelnen Veranstalter. Jeder definiert für sich ein bisschen anders, wo genau ein Problem beginnt.

Das in der Hinrunde verabschiedete Sicherheitskonzept hatte mehrere Aspekte zum Gegenstand, die aus genau diesem Grund sehr kontrovers diskutiert wurden. Die einen hielten die Maßnahmen für überfällig, andere langweilten sich ob der vielen Selbstverständlichkeiten und wieder andere lehnten das Vorhaben kategorisch ab. Brauchen die Bundesligen denn überhaupt ein Sicherheitskonzept?

Andreas Rettig: Die meisten unserer 612 Spiele, also der absolut überwiegende Teil, verlaufen nahezu reibungslos. Trotzdem brauchen wir das Sicherheitskonzept. Die Hintergründe sind einfach zu erklären: Wie im sportlichen haben wir auch im organisatorischen Bereich eine unheimlich große Bandbreite von kleineren und größeren Clubs. Diese Heterogenität wird besonders deutlich bei Infrastruktur und Personal. Wir haben auf der einen Seite ein Stadion wie die Allianz-Arena, in dem schon ein Champions League Finale ausgerichtet wurde, und auf der anderen Seite Stadien wie in Sandhausen und Aalen, die erst neu in die 2. Bundesliga gekommen sind. Wir haben Vereine mit über 300 Angestellten, andere mit gerade einmal 11. Und dennoch müssen all diese Vereine und Stadien gewisse Regeln einhalten und Anforderungen erfüllen, denn wir wollen, dass die Spiele vernünftig und in geregelten Bahnen ablaufen, auf einem Niveau, das der Fan auch erwarten darf.

Die Arena in München

Das Sicherheitskonzept hatten wir ursprünglich als Arbeitsentwurf aufgesetzt, mit dem die einzelnen Vereine an die Basis gehen sollten, um Feedback der Fans einzuholen und das an uns zurück zu spiegeln. Aus diesen Ergebnissen wollten wir dann etwas machen, das war der kommunizierte Weg. Ich spare mir an dieser Stelle die Einzelheiten, doch rückblickend muss man sagen, dass das nicht besonders gut funktioniert hat. Wir haben vorab versäumt zu erklären, dass es sich um einen Abstimmungsprozess handelt und nicht um ein vorgefertigtes Papier. Wenn unsere Absichten anders angekommen sind, müssen wir zugeben, dass wir dieses Thema nicht zu jeder Zeit klar kommuniziert haben. Wir müssen selbstkritisch sein, um solche Dinge beim nächsten Mal besser zu machen. Andererseits sollten Fans aufhören zu glauben, dass die DFL oder der DFB die Absicht hätten, von Frankfurt aus alle Fanangelegenheiten zwischen Rostock und Freiburg zu regeln. Das ist weder unsere Aufgabe, noch können wir es von unseren Ressourcen her leisten. Und wir wollen es auch gar nicht! Das ist Aufgabe der Clubs.

Doch um wieder auf das Sicherheitskonzept zurückzukommen: Wenn die Clubs am 12.12. alle Anträge abgelehnt hätten, was hätten wir erreicht? Wir hätten einen oder sogar zwei Schritte zurück gemacht, weil wir die positiven Aspekte – zum Beispiel Klarstellungen, Erklärungen und neue deutliche Verbesserungen bei den Ordnungsdiensten –, die in den Anträgen enthalten waren, nicht hätten umsetzen können. Hinzu kommt: Alle Streitpunkte, an denen sich Fans aus ihrem jeweiligen Blickwinkel gestoßen haben – angefangen bei den Körperkontrollen bis hin zu den Ticketkontingenten –, gab es schon vorher. Sie waren seit Jahren in den Statuten verankert, nur hat sich niemand daran gestört oder die Mühe gemacht, in die Tiefen diverser Satzungen und Ordnungen einzusteigen.

Aus Sicht der aktiven Fanszenen wurden die Probleme über das Sicherheitskonzept nicht gelöst, sondern deutlich verstärkt. Zeltkontrollen, die in München vor und in Stuttgart nach dem 12.12. erfolgten, brachten viele Fans zur Weißglut – 2005 mussten sich Frauen und Mädchen aus der Dresdener Fanszene in solchen Zelten komplett entkleiden, weil die Polizei in Saarbrücken ihr unverdächtiges Aussehen als Indiz für ihre Eignung als Pyro-Schmuggler gewertet hatte. Haben Sie vor diesem Hintergrund Verständnis dafür, dass sich aktive Fans auf die Füße getreten fühlen und grundsätzlich vom Schlimmsten ausgehen?

Protest im WS gegen das Sicherheitskonzept

Andreas Rettig: Wenn ich das so aufnehme, wie Sie es beschreiben: Ja, dafür hätte ich Verständnis. Aber ist es denn auch wirklich so passiert? Ich möchte Ihnen die Problematik am Beispiel des Spiels aus dieser Saison zwischen Bayern München und Eintracht Frankfurt verdeutlichen. Es fängt damit an, dass im Vorfeld unterschiedliche Bewertungen und Auffassungen über die Geschehnisse rund um das Spiel vorliegen. Die einen reden von einem sicherheitsrelevanten Spiel, weil sich die Frankfurter Fans selbst als Randalemeister inszenieren, die anderen sehen überhaupt keinen Anlass zur Sorge. Am Ende erklärt die spielleitende Stelle, in diesem Fall der DFB, dass bei diesem Spiel mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko zu rechnen ist, weshalb das Spiel entsprechend eingestuft und bewertet wird.

Jetzt mache ich einen Strich und komme direkt zur Nachbetrachtung. Da bekommen wir die Information aus Fankreisen, dass sich eine – salopp gesagt – unglaubliche Sauerei abgespielt habe. Zelte seien aufgestellt und über 100 Leute bis auf die nackte Haut gefilzt worden. Es folgt eine Pressemitteilung des FC Bayern, in der von 23 gefundenen Messern, Schlagringen, Kokain und haufenweise anderen verbotenen Gegenständen die Rede ist. Wir haben uns die Mühe gemacht, diese Vorkommnisse genau zu sezieren, um herauszufinden, was sich wirklich abgespielt hat. Mit dem Ergebnis, dass jeder seine Geschichte genauso erzählt hat, wie sie ihm am besten in den Kram passte. Die Nacktkontrollen, von denen man so oft und wortreich lesen konnte, hat es gar nicht gegeben. Tatsächlich reden wir von etwa 40 Leuten, die ihre Jacken und Schuhe ausziehen, Taschen ausleeren und ähnliche Dinge machen sollten. Die Gegenstände, die rund um die Allianz Arena gefunden wurden, standen in keinem Zusammenhang mit den Zelten.

Das alles führt zu einer Konsequenz, die mich sehr nachdenklich stimmt: Es wird viel geredet und noch mehr gestritten, jeder stellt diesen Vorfall so dar, wie er ihn haben möchte. Nur über die Tatsache, dass 23 Messer gefunden worden sind, spricht niemand! Dabei frage ich mich: Ist es denn normal, dass 23 Messer mit ins Stadion genommen werden? Und ist es nicht völlig unerheblich, ob diese 23 Messer am Parkplatz, im Zelt oder am Busch vor der Allianz Arena gefunden werden? Als wir diese Diskussion angefangen haben, bekamen wir Antworten vom Fanprojekt: „Ja, das muss man verstehen, da sind ein paar Leute direkt von der Arbeit gekommen, das waren Teppichmesser.“ 23 Teppichmesser? „Naja, ganz so viele waren es nicht. Da waren auch ein paar Kindermesser dabei.“ Kinder mit Messern? „Gut, es waren noch ein paar Schweizer Messer dabei, aber die kann man ja für alles Mögliche brauchen, wenn man unterwegs ist.“ Was ich damit sagen will: Es gibt immer für alles Erklärungen – aber an der Tatsache, dass wir einen solchen Fund haben, stört sich keiner. Das stört mich. Denn ich gehe nun seit wirklich vielen Jahren in Stadien, aber die Idee, ein Messer mitzunehmen, hatte ich noch nie.

Im Verlauf der Debatte hatte man den Eindruck, es sei zu einer Radikalisierung gekommen, bei der sich die Beteiligten gegenseitig hochgeschaukelt haben.

Andreas Rettig: So könnte man das durchaus beschreiben.

Wie kann man aus dieser Spirale ausbrechen und wieder ein vernünftiges Niveau der Kommunikation erreichen?

Andreas Rettig: Ich glaube, dass wir das schon geschafft haben, wenn Sie die letzten Monate Revue passieren lassen. Wir haben zugegeben, dass in der Vorbereitung des 12.12. nicht alles optimal gelaufen ist. Wir haben die Vorwürfe ernst genommen und sind in einen glaubwürdigen Dialog mit den Fans eingetreten. Wir haben uns Fanvertretern in Berlin gestellt, obwohl uns klar war, dass es keinen Applaus geben würde. Ich habe dort aber um Verständnis und Respekt für den Standpunkt anderer gebeten und mir mit dem gleichen Verständnis und Respekt angehört, was die Fans zu sagen hatten. Wir haben aber nicht nur in Berlin Rede und Antwort gestanden, sondern zum 10. Januar auch eine eigene Dialogrunde gestartet. Wir haben uns dabei ernsthaft bemüht, möglichst breite Fanschichten anzusprechen und wichtige Ansprechpartner nachzuladen, wenn wir auf sie aufmerksam gemacht wurden.

Anschließend haben wir im Januar vier große Regionalkonferenzen in Hannover, Berlin, München und Leverkusen durchgeführt, bei denen erstmals auch Fanvertretungen eingeladen waren. Diese Treffen empfand ich als sehr befruchtend, weil sie ganz bewusst auf der Arbeitsebene stattfanden – kein Schaulaufen, kein Medienhype, aber gute und konstruktive Gespräche. Das war wichtig, weil die Situation zuvor stark medial aufgeheizt und auch von Populismus geprägt war. Übrigens: Diesem Populismus hatten wir uns schon im Laufe der medialen Auseinandersetzungen sehr klar entgegengestellt.

Worauf ich mit alledem hinaus möchte: Was dieses Thema angeht, haben wir uns klar und deutlich positioniert in dem Sinne, dass wir ein ernstes und ehrliches Interesse am Dialog wollen.

Plakate zu 12:12

Nun sind derartige Prozesse oft von einer großen Anfangseuphorie geprägt, die sich nach einiger Zeit abkühlt und letztlich den Weg alles Irdischen geht. Wie können wir sicherstellen, dass diese Bemühungen nicht schon bald wieder versanden?

Andreas Rettig: Ich bin optimistisch, weil die nächsten Schritte schon gegangen sind. Wir hatten bei den Treffen im Januar angekündigt, uns noch im ersten Quartal wieder zusammensetzen zu wollen, um Informationen auszutauschen und Vorentscheidungen zu diskutieren. Dieses Treffen hat am 13. März stattgefunden. Das zeigt auch, dass wir ein anderes Selbstverständnis an den Tag legen. Wichtige Dinge sollen bereits im Vorfeld diskutiert und Meinungen dazu eingeholt werden – auch wenn es uns nicht möglich sein wird, jeden einzelnen Fanwunsch zu erfüllen. Und es bin ja nicht nur ich, der solche Gespräche führt – es sind viele weitere Vertreter von DFL und DFB beteiligt, die sich einbringen.

Ich will aber auch in aller Deutlichkeit sagen, dass mich das Verhalten einzelner Fans enttäuscht hat. Mitten in einer Phase, in der wir auf die Vereine zugehen und ihnen erklären, wie sensibel die Situation ist, dass wir nach dem 12.12. den Fans zeigen sollten, dass wir auch anders können, verzichtet Bayer Leverkusen gegen Frankfurt auf strikte Kontrollen. Die Ordner akzeptieren Doppelhalter, Fahnen und so weiter. Und was passiert? Bengalos werden abgebrannt und Raketen fliegen aufs Spielfeld. Das alles mit der Vorgeschichte, dass bei eben diesem Spiel vor zwei Jahren Zelte aufgestellt waren, in denen es sehr scharfe Kontrollen gab, im Stadion aber keine Pyrotechnik oder ähnliches zu sehen war. Dass dieses Verhalten zu Frust führt, kann ich nachvollziehen. Auch wenn wir im Nachgang gesagt haben, dass nicht wieder alle darunter leiden dürfen, wenn uns eine Handvoll Unverbesserlicher das Leben schwer macht, sollten sich Fans auch einmal die Mühe machen, sich in die Rolle von Bayer Leverkusen hineinzuversetzen.

Klare Absage an die Politik

Ich möchte Ihnen ein anderes Beispiel für partielle Wahrnehmung nennen. Für viele Fans entstand in der Medienberichterstattung der Eindruck, DFL und Bundesligaclubs hätten sich von Politikern erpressen lassen – da ging es etwa um Verbote von Stehplätzen, die Umlage von Polizeieinsatzkosten auf Fans und viele weitere Maßnahmen, zu deren Abwehr das Sicherheitspaket notwendig gewesen sei. Wurden auch hier nur die Stimmen gehört, die man hören wollte?

Andreas Rettig: Diese Dinge wurden nicht von DFL-Vertretern gesagt, das kann ich ausschließen. Wir müssen insgesamt aufpassen, dass wir nicht Dinge vermischen. Wir haben immer sachlich argumentiert. Zum Thema Stehplätze gab es mehrere klare und deutliche Stellungnahmen, dass wir Stehplätze als wichtigen Teil der Fankultur wünschen und nicht daran denken, diese abzuschaffen. Dies war absolut eindeutig. Jeder vierte Platz in unseren Bundesligastadien ist ein Stehplatz, das ist ein Anteil von 25 Prozent. In der zweiten Liga sind es sogar 35 Prozent. Das Thema Polizeieinsätze dagegen ist so alt wie die Bundesliga. Das kommt alle Jahre wieder, wenn neue Köpfe in der Verantwortung sind. Mehr möchte ich dazu eigentlich nicht sagen.

Sie hatten aber nicht den Eindruck, sich erpressbar gemacht zu haben?

Andreas Rettig: Nein. Aber wir leben in einem Rechtsstaat mit einer Demokratie – da können wir nicht einfach sagen, dass wir uns nicht mit gewählten Volksvertretern an einen Tisch setzen wollen oder uns nicht anhören, was sie zu sagen haben. Dass wir eine eigene Position haben und unsere eigenen Vorstellungen mitbringen, haben wir unter Beweis gestellt. Wir werden deshalb nicht verhindern können, dass auch die Politik hier und da mal den Finger in die Wunde legt. Aber wir wissen, dass wir ebenso eine Verantwortung im Innenverhältnis haben, unseren Clubs genauso wie den Fans gegenüber.

Dann teilen Sie auch sicher nicht die Auffassung, dass es das Sicherheitskonzept nur gegeben habe, um das eigene Produkt Profi-Fußball vor einer medialen Schlammschlacht zwischen Politikern, Polizeivertretern und einer aufgeheizten Medienmeute zu beschützen.

Andreas Rettig: Wir dürfen nicht den Fehler machen, hinter jedem Satz, der irgendwo mal gesagt wird, direkt einen Angriff auf die Fankultur zu sehen. Da sollten wir uns schon die Mühe machen und doch bitte auch die Dinge nach dem 12.12. betrachten: Was ist passiert, wie werden Dinge umgesetzt, wie gehen wir miteinander um? Dann warten wir ein paar Tage ab, zum Beispiel bis zum Saisonende, und bewerten die Situation neu: Hat die DFL aktiv dazu beigetragen, dass sich der Fan im Stadion etwas wohler fühlt?

Vor einigen Wochen haben wir uns schon einmal unterhalten. Wir waren uns einig, dass die Inhalte des Sicherheitspapiers überdramatisiert wurden. Meine Behauptung war, dass sich ein großer Teil der Konflikte und Streitfälle hätte verhindern lassen, wenn DFL und Bundesligaclubs ihren Fans früher zur Seite gesprungen wären. Gerade die aktiven Fans hätten sich ein nettes Wort gewünscht, als sie z.B. bei Sandra Maischberger als „Geisteskranke mit faschistoiden Versammlungsritualen“ verunglimpft wurden. Können Sie mir noch einmal mit etwas Abstand erläutern, warum es in diesen Situationen kein Einschreiten „Bis hierhin und nicht weiter“ gab? Hätten Sie nicht sogar die Verpflichtung gehabt, Ihre Kunden – wenn wir diesen Begriff einmal verwenden wollen – vor derartigen Angriffen zu schützen?

Andreas Rettig: Da sind wir wieder beim Thema von vorhin, denn auch das ist eine Bewertungsfrage. Ich verstehe, wenn sich ein Fan nicht genügend verteidigt oder wertgeschätzt fühlte, diese Empfindung kann ich auch nicht nehmen. Ich werde aber versuchen, Ihnen die Hintergründe unseres Verhaltens zu erklären.

Ich fühl mich sicher

Wir haben die Situation, dass Leute in einer Talkshow sitzen, die nie bei einer Fanversammlung waren und nie bei einem Verein in der Verantwortung standen, plötzlich aber theoretische Abhandlungen zu diesem Thema liefern sollen. Ihnen geht es – wie schon beim Blick auf die Gästelisten dieser Sendungen klar wird – offensichtlich selten darum, ausgewogen und sachlich zu diskutieren oder Sachverhalte interessenübergreifend darzustellen. Und trotzdem können wir nicht auf jeden Populismus eingehen, weil wir dann nur noch in der Reaktion wären: Maischberger-Sendung – Stellungnahme DFL. Aussage Schünemann – Stellungnahme DFL. Pressemitteilung Polizeigewerkschaft – Stellungnahme DFL. Und so weiter. Wir wollten genau das nicht, haben uns entschieden sachlich zu bleiben und diese Dinge zu gegebener Zeit auszuwerten. Das haben wir getan.

Es hätte die Gelegenheit gegeben, die Initiative „Ich fühl mich sicher“ zu unterstützen…

Andreas Rettig: … da hatte ich Ihnen ja gesagt, dass ich das als Fan auf jeden Fall unterschrieben hätte…

… und damit die wohl beste Werbung für die Bundesliga zu treiben. Die hohe Beteiligung war ein ideales Argument gegen den öffentlichen Furor: „Seht her, die regelmäßigen Stadionbesucher haben keine Angst im Stadion“. Warum wurde diese Kampagne von der DFL nicht viel stärker unterstützt?

Andreas Rettig: Ich halte diese Initiative für positiv, gar keine Frage. Deshalb verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch, wenn ich sage, dass wir nicht jeder Aktion oder Organisation eine prominente Plattform bieten können. Wir haben betont, und das wiederhole ich gerne, dass wir auch „12:12“ für eine gelungene und friedliche Aktion halten.

Kein Zwanni in Hamburg

Kommen wir zu einem weiteren Streitpunkt, an dem sich seit Jahren die Gemüter erhitzen. Wann immer es Geld zu verdienen gibt, werden Fans zu Kunden und gelten die Gesetze des freien Markts: Eintrittskarten sind zum Teil um mehr als hundert Prozent im Preis gestiegen, Trikots schlagen gerne mit 75 bis 80 Euro zu Buche und kleine Vermögen bleiben auf Bezahlkarten als „Schlummergroschen“ liegen. Wenn Stadionbesucher hingegen aus Protest ihre Mannschaft auspfeifen oder Pyrotechnik einsetzen, ist von „sogenannten Fans“ oder „Unverbesserlichen“ die Rede, die man kritisieren und denen man unverhohlen Sanktionen androhen kann. Aber: Fans haben es nicht verdient finanziell ausgebeutet zu werden, gegenüber Kunden stellen herablassende Äußerungen oder Drohungen einen Kündigungsgrund dar. Würden Sie mir zustimmen, wenn ich hier von opportunistischem Verhalten spreche?

Andreas Rettig: In meiner Anfangszeit als Vereinsvertreter habe ich mir eine blutige Nase geholt, als ich einmal unbedacht in einem Nebensatz das Wort Kunde in den Mund genommen hatte. Das habe ich danach nie wieder getan, für mich ist der Fußballfan in erster Linie Fan. Ich käme nicht auf die Idee zu differenzieren „Du bist heute Kunde und morgen Fan“, weshalb ich Ihnen diese Frage gerne inhaltlich beantworten möchte.

Die Preispolitik bei Eintrittskarten liegt im Hoheitsbereich der Vereine. Die DFL hat sich in diese Fragen grundsätzlich nicht einzumischen. Wenn Sie die Frage stellen, ob Fußball bezahlbar ist – ich sage ja und er muss es auch bleiben –, dürfen Sie nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Wir müssen den Blick auf Zahlen richten, die eine höhere Allgemeingültigkeit haben und nicht nur auf ein Spiel bezogen sind. Wie also sieht es aus mit den Dauerkartenpreisen in unserer Liga? Wenn ich richtig gerechnet habe, zahlen Sie im niedrigsten Preissegment auf Dauerkartenbasis bei mindestens der Hälfte aller Bundesligavereine nicht einmal zehn Euro pro Spiel – in der 2. Bundesliga gilt das sogar für 15 von 18 Vereinen. Das sind für mich belegbare und klare Aussagen.

Die Kritik richtet sich allerdings nicht gegen Dauerkarten, sondern gegen Toppspielzuschläge. Den gleichen Platz, für den ein BVB-Fan in Leverkusen 76 Euro zahlen muss, gibt es gegen Nürnberg schon für 26 Euro. Dieser Vergleich ist zulässig.

Andreas Rettig: Da bin ich bei Ihnen, das verstehe ich. Doch wir müssen differenzieren, um wen es bei der Preisgestaltung geht. In der Regel geht es darum, dem Fan bezahlbare Tickets anzubieten – das geschieht und ist deutlich belegbar. Aber wenn einer nur dreimal im Jahr ins Stadion kommt und sich die Spiele gegen Borussia Dortmund, Bayern München und Schalke 04 anschauen, also die Rosinen rauspicken will – warum soll ich denn so jemandem sagen: „Hast du gut gemacht, Junge, zur Belohnung kriegst du noch einen Spezialpreis von mir“?

Akut stellt sich dieses Problem bei Auswärtsfahrten. Fans des FC Bayern zahlen überall in der Republik Toppzuschläge, obwohl Spiele in Fürth, Hoffenheim oder Wolfsburg nichts mit Rosinenpickerei zu tun haben.


Andreas Rettig: Klar, aber auch da müssen Sie fair bleiben. Wir haben eben von Stehplatzpreisen gesprochen. Wenn sie Clubs mit einem sehr großen Fanpotenzial betrachten, deren Nachfrage deutlich über das Stehplatzkontingent des Heimvereins hinausgeht, können Sie den Veranstaltern nicht sagen, dass sie Sitzplätze zum Stehplatzpreis verkaufen sollen. Wir müssen also auch da wieder differenzieren und können nicht ohne weiteres die Dauerkarte zuhause mit dem Tagesticket auswärts vergleichen. Wenn Stehplatzkontingente erschöpft sind und Zuschauer in „qualitativ bessere“ Tribünenbereiche rücken, müssen sie mehr zahlen. Ob das Mehr immer gerechtfertigt ist? Das ist Sache der Clubs. In jedem Fall habe ich mich aber darüber gefreut, dass die Entscheidungsträger in den Vereinen dieses Thema sehr ernst nehmen und kritisch hinterfragen. Das ist ein gutes Zeichen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Rettig!

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel