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Gegen das Vergessen

30.01.2012, 12:14 Uhr von:  Redaktion

Der Fußball und seine enorme Strahlkraft sind dazu in der Lage, Brücken zu gesellschaftspolitischen Themen zu schlagen. Themen, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Und das ist verdammt wichtig. Den 67. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz nahmen zahlreiche Institutionen der ganzen Republik zum Anlass, an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern. Im deutschen Bundestag hielt der 91-jährige Marcel Reich-Ranicki eine bemerkenswerte Rede und berichtete als Zeitzeuge vom unvorstellbaren Überlebenskampf im von Nazis kontrollierten Warschauer Ghetto. Umso erfreulicher, dass auch unser Ballspielverein sich nun schon zum zweiten Mal in den Kreis derer gesellte, die am 27. Januar den „Tag gegen das Vergessen" begingen. Und mit unserem Borusseum haben wir einen für diesen Anlass nahezu perfekten Schauplatz in Dortmund.

„Gesellschaftliche Verantwortung und das Konstrukt der Aktiengesellschaft – das ist nicht einfach", gestand Borussia-Geschäftsführer Dr. Reinhard Lunow. „Ich bin stolz auf den Verein, dass wir diesen Tag zum zweiten Mal begehen und soziale Verantwortung übernehmen. Wir müssen unsere Strahlkraft weiterhin nutzen und Menschen ansprechen, die wir sonst nicht ansprechen können."

Mit lokal verankerten Themen rund um den BVB gegen das Vergessen – das war in diesem Jahr Dreh- und Angelpunkt des Abends. Klar dass jemand wie Heinrich Czerkus an einem solchen Abend nicht fehlen darf. Denn der einstige Platzwart der Weißen Wiese ist das prädestinierte Bindeglied zwischen der Geschichte nationalsozialistischer Verfolgung und der unserer Borussia. „Heinrich Czerkus war im Verein sehr beliebt", berichtete Referent Wilfried Harthan. Der gebürtige Schwabe hatte damals die Idee zum Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf. Die Besonderheit: Czerkus war bekennender Kommunist und als solcher Mitglied in der KPD, deren Anhänger zu den ersten gehörten, die von den Nationalsozialisten verfolgt und in Arbeitslager gesteckt wurden.

Auch wenn es innerhalb des Vereins nur wenige überzeugte Nationalsozialisten gab – Präsident August Busse wurde erst 1941 unüberzeugtes NSDAP-Mitglied – stießen Czerkus' auch nach 1933 ausgeführten Aktivitäten im antifaschistischen Widerstand beim BVB nicht auf große Gegenliebe. Umso bemerkenswerter daher das „Schutzschild BVB": Nicht nur, dass der Platzwart die Vervielfältigungsmaschine in der Geschäftsstelle zum Drucken von Flugblättern nutzen konnte. Immer wieder wurde der gesuchte Heinrich Czerkus von anderen Borussen beschützt, selbst Polizisten gaben den BVB-Offiziellen Hinweise, wenn beispielsweise die Weiße Wiese nach dem gelernten Schlosser durchsucht werden sollte. Lange Zeit gelang es den Borussen auf diese Weise mit vereinten Kräften, Heinrich Czerkus vor der Gestapo zu schützen. Wilfried Harthan weiß: „Eine Entdeckung dieser Tatsachen hätte verheerende Folgen gehabt."

Doch in den letzten Kriegsmonaten, als die US-Armee immer weiter gen Dortmund vorrückt, starten die Nazis ein Zeugenvernichtungsprogramm. Auch Heinrich Czerkus wird im Frühjahr 1945 festgenommen und eines von 300 Nazi-Mordopfern in der Bittermark, im Rombergpark und am Hörder Eisenbahngelände. (weitere Infos: hier) Wilfried Harthan zeigte sich ob dieser Geschichte fassungslos: „Es ist unglaublich, was dort abgelaufen ist. Auch der anschließende Prozess, der den Tätern gemacht wurde, ist eine Verhöhnung der Opfer, ein echter Skandal. Von 28 Angeklagten wurden 15 freigesprochen. Keiner der Verurteilten bekam mehr als dreieinhalb Jahre."

Zuvor hatte BVB-Chefarchivar und Autor Gerd Kolbe den zahlreich erschienenen Besuchern aller Altersklassen eine unter schwatzgelben Fans wohl eher unbekannte Persönlichkeit vorgestellt: Benno Elkan, geboren 1877, Jude und ein begeisterter Pöhler. Der heute als Künstler bekannte Benno Elkan gründete nach seiner Rückkehr von einem Schweiz-Aufenthalt den heutigen TSC Eintracht Dortmund und emigrierte 1935 nach London.

Zu guter letzt meldete sich Gerhard Langemeyer zu Wort und sprach über seine Zeit als oberster Bürger der Stadt Dortmund. Dabei hob er vor allem die Initiativen, die die Stadt rund um Neonazi-Aufmärsche angestoßen hatte, hervor. In einigen bunten Bildern zeigte er die Großveranstaltungen, die immer wieder punktuell mit allerlei medialen Brimborium begangen wurden. In seinen Ausführungen verlor Gerhard Langemeyer allerdings den Blick dafür, dass die Stadt Dortmund in seiner Amtszeit in immer größere finanzielle Notlage geriet, was unter anderem dazu führte, dass der Sparstift bei Jugend- und Sozialprojekten angesetzt wurde. Dies ist wohl auch einer der Gründe, warum sich Dortmund in den letzten Jahren zu einer Hochburg der Rechten in NRW entwickeln konnte. Dieses Problem wurde und wird leider immer noch stiefmütterlich von der Stadtpolitik behandelt und so verlor auch Herr Langemeyer kein Wort über dieses real existente Problem in Dortmund. Hier wurde sowohl vom Referenten als auch vom Publikum die Chance vergeben, sich kritisch mit den vergangenen Jahren in Dortmund auseinander zu setzen.

Und dennoch förderte die anschließende Diskussion einige interessante Aspekte zu Tage. So bekräftigte Gerd Kolbe, dass er „den Fußball als Brücke der Geschichte" auch weiterhin beschreiten wolle: „An einer Gesamtschule habe ich zuletzt über die Rolle des BVB im Dritten Reich geredet. Danach haben die Schüler ganze drei Stunden lang über den Nationalsozialismus diskutiert." Dr. Lunow und die Borusseums-Kuratorin Kirsten Behnke beschrieben zu guter letzt die Projekte, in denen sich der BVB gesellschaftlich engagiert, um seiner Verantwortung gerecht zu werden. Hierbei wurden in erster Linie die öffentliche Unterstützung aber auch das Engagement der Fanabteilung angesprochen. Auch das Fanprojekt gehe an die Schulen und versucht über den Reizpunkt BVB in den Kontakt mit den jugendlichen zu kommen. Unerwähnt blieb allerdings leider das Engagement der Fanbeauftragten, die – unter anderem - in Zusammenarbeit mit The Unity die Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz im vergangenen Jahr organisiert und begleitetet hatten. Auch die regelmäßig stattfinden Fahrten nach Dachau und Sachsenhausen sollten an dieser Stelle noch einmal lobend erwähnt werden.

Im nächsten Jahr wird es in Zusammenarbeit mit der Fan- und Förderabteilung eine Gedenkfeier in der Bittermark geben, in deren Rahmen der „BVB im Dritten Reich" thematisiert wird.

Malte S./mrg, 30.01.2012


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