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Fünfunsechzich: Allet Gute, Erwin Kostedde

21.05.2011, 10:52 Uhr von:  Redaktion

BVB Helden„Erwin Kostedde wird Fünfunsechzich“, sagt Oma. Ich verstehe nur Hostedde und sehe vor meinem geistigen Auge Kinder im Bayernknippi (kurze Hosen mit Hosenträgern nach Lederhosenart geschnitten) vor Schlackehalden - wie sie Ball spielen, Kleingärten und Zechensiedlungen. In Sichtweite dieses Dortmunder Vororts, an der Hostedder Straße, thront der Förderturm der Zeche Gneisenau. Der längst (1985) stillgelegte Schacht verlor zweimal bei Unglücken insgesamt 28 Knappen (1887, 15 Bergleute durch eine Schlagwetterexplosion und 1902 insgesamt 13 Kameraden beim Dynamitabladen); einer davon stammte aus meiner Familie. Wo war ich? Stimmt, beim Erwin.

Der Sohn eines afroamerikanischen GI’s, wuchs mit sechs älteren Geschwistern auf. Die Probleme die ihm die ‚falsche Hautfarbe‘ (Kostedde) bereitete, beschrieb er im Reviersport mal so: „Nach dem Krieg waren wir in Münster drei Mischlinge und wir kannten uns alle drei. Der Erste war Messdiener und kam nach einer Beerdigung bei einem Verkehrsunfall um. Der Zweite ertrank im Aasee. Da bekam ich schon als Kind panische Angst, dass irgendein Unheil oder Fluch über uns liegen würde.“ Fußball war sein Fluchtpunkt und Lebensinhalt. Schule mochte er nie, aber kicken konnte der ‚neue Pele wie die damalige Presse einfallslos schrieb. Er sollte später der erste schwarze deutsche Nationalspieler (drei Einsätze) werden. In der B-Jugend von TUS Saxonia Münster zeigte ihm der ehemalige Nationalspieler, deutscher Vizemeister und Preußen Münster-Legende der 50er Jahre - Felix »Fifi« Gerritzen - einen mehrfachen Übersteiger. Dieser sollte Jahre später nur der „Erwin-Shuffle“ genannt werden.

Seine Jugendkarriere begann beim SC Münster 08 führte ihn über TUS Saxonia schließlich zu Preußen Münster und es dauerte nicht lange bis er, von der A-Jugend kommend, 1965 in die erste Mannschaft berufen wurde. Nach zwei Jahren als Stürmer in der Regionalliga West holte ihn der neue MSV-Trainer Gyula Lóránt, Vizeweltmeister mit Ungarn beim ‚Wunder von Bern‘, im Sommer `67 an den Duisburger Rhein. 19 Spiele und 5 Tore später (inklusive kurzer Flucht nach Amsterdam und reumütiger Rückkehr) war das Gastspiel in Meiderich schon wieder zu Ende. Erwin war jung und ziemlich empfänglich für das große Geld. Nach einem Probetraining in Aachen kam das Angebot auf das er immer gewartet hatte. Zwar nicht aus den USA, aber aus Belgien. Für 80000 Mark (im Jahr!) unterschrieb er für drei Jahre beim Royal Standard Club de Liège. Er wurde dreimal in Folge belgischer Meister und schoss in 67 Spielen 51 Tore für Lüttich und wurde 1971 Torschützenkönig mit 26 Toren. Vorgänger war übrigens Lothar Emmerich, der im Jahr zuvor für den Beerschot VAC (heute: KFC Germinal Beerschot Antwerpen) mit 29 Toren Toptorschütze war.

Erwin war es zusätzlich vergönnt, im Jahre 1969 mit Standard als erstes belgisches Team Real Madrid in einem internationalen Wettbewerb auszuschalten und zwar im Achtelfinale des Europapokals der Landesmeister. Im Hinspiel schoss er das einzige Tor, im Rückspiel gewann man sogar im Estadio Santiago Bernabéu mit 3:2. Eine Runde weiter war aber schon wieder Schluss mit jeglichen Ambitionen. Leeds United beendete den Höhenflug abrupt. Kurzzeitig hatte er überlegt die Belgische Staatsbürgerschaft anzunehmen, da er sich in dem Land, in dem viele Farbige aus den ehemaligen Kolonienlebten, sehr wohl fühlte. Der Verband spielte aber nicht mit. Kostedde zog es nach den erfolgreichen Jahren zur Saison 1971/72 wieder zurück nach Deutschland.

Die Kickers aus Offenbach brauchten nach der verkorksten Skandal-Saison zuvor (Lizenzentzug wegen Spielmanipulationen und Abstieg aus der Bundesliga als Pokalsieger) dringend einen Knipser und einen neuen Ersatztorwart, da der junge Horst Bertram zum BVB wechselte. Erwin tat ihnen den ersteren Gefallen und wurde bester Schütze der Regionalliga (Süd) mit 27 Treffern. Trotz anfänglicher zwei-Jahres-Sperre ließ der DFB die Offenbacher aufsteigen, die sich zuvor nach hartem Kampf in der Relegationsgruppe 2, nur Aufgrund der besseren Tordifferenz haarscharf vor RW Essen durchsetzen konnten. In den kommenden fünf Jahren entstand nicht nur der eingangs erwähnte ‚Shuffle-Erwin‘ (einmal schaffte er sogar einen fünffachen Übersteiger) sondern auch ein Offenbacher Rekord für die Ewigkeit. Das ‚Besatzungskind‘ schoss für die Hessen in 129 Spielen 80 Tore und ist damit u.a. ewiger Rekordtorschütze in der Bundesliga der Kickers. 1974 wurde sein Tor zum 3:3 (Flanke von links, Brustabnahme, Volley mit dem linken Schlappen rechts in den Winkel) Tor des Jahres und er danach Nationalspieler. Am Ende der Saison klopfte Hertha an und kaufte für schlappe 650000 Mark den Dauerknipser. 15 Tore und ein Platz ‚unter ferner liefen‘ später, wurde es auch bei ihm schwarz-gelb.

Gemeinsam auf Torejagd: Manni und ErwinDer BVB war aufgestiegen, Erwin wollte weiterziehen und so wurde man sich schnell einig. Ab der Saison 1976/77 schnürrte er den Schuh für den Borsigplatz-Klub und sicherte ihm an der Seite von ‚Manni‘ Burgsmüller mit seinen Toren den Klassenerhalt. Als er die Borussia zum Saisonende 1978 verließ, hatte er sein Bundesligatorkonto um weitere 18 Treffer erhöht. Er gönnte sich ein kurzes Gastspiel bei Union Solingen in der zweiten Liga, um danach noch einmal richtig Gas zu geben. Wechsel zum alten Klub Standard Lüttich, 15 Spiele (6 Tore). Dann ab nach Frankreich. Frankreich? Warum nicht. Stade Laval hieß der Verein und Erwin holte sich mal eben mit 21 Toren die Torjägerkanone - gemeinsam mit dem Argentinier Delio Onnis vom AS Monaco. Aber Erwin wäre nicht Erwin, wenn es ihn dort lange gehalten hätte. Also ab in den Bus, zurück in die BRD.

Erst mal in Ruhe akklimatisieren. Seine 29 Tore für die Werderaner aus Bremen reichten lustigerweise nicht einmal für die Top drei in der Torschützenliste der Regionalliga Nord. Ein gewisser Frank Mill schoss die meisten: 40 Stück. Bremen kehrte zurück in die 1. Liga. Dort stürmte er zusammen mit Uwe Reinders, blieb aber mit neun Treffern in 33 Spielen nur drittbester Bremer Torschütze. Man wurde aber trotzdem sehr guter Fünfter, als Aufsteiger. Erwin war mittlerweile schon 36 Jahre alt und musste was tun. Er hing noch ein Jahr 2. Liga beim VfL Osnabrück dran, aber dann war endgültig Schluss. 12 Tore wurden es in 30 Spielen, er ging wie er Anfing - als Torjäger.

Die Zeit danach wurde für den pensionierten Goalgetter ziemlich unschön. Erst verlor er sein Vermögen bei dubiosen Anlagegeschäften (angeblich mehr als eine Million D-Mark), 1990 musste er sogar für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft, weil nach einem Raubüberfall mit Waffe auf eine Spielhalle die Täterbeschreibung eines Kioskbesitzers (laut Kostedde ein Fan der Blauen) genau auf ihn passte. Er wurde schließlich freigesprochen und bekam 3000 Mark Schadenersatz. Was bleibt sind seine 146 Tore in 301 Spielen im deutschen Profifußball und die Gewissheit, dass auch große Knipser am Ende sehr einsam sein können.

Alles Gute zum Geburtstag, Erwin Kostedde. Danke für die tollen Tore!

walter09, 21.05.2011

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