Spieler im Fokus

100 Tage Jürgen Klopp - Eine Analyse

12.10.2008, 13:09 Uhr von:  Redaktion

Jürgen Klopp so wie man ihn kenntIn der Welt der Politik bekommen neue Regierungen 100 Tage Zeit, andere Verhältnisse zu schaffen und Veränderungen auf den Weg zu bringen. Erst nach Ablauf dieser Frist wird bewertet, gegebenenfalls kritisiert. Jürgen Klopp ist nun seit 100 Tagen beim BVB im Amt. Seitdem haben wir besseren Fußball, bessere Laune, weniger Watzke und weniger Fahne. Zeit für ein erstes Update.

Jürgen Klopp kündigte schon bei seiner ersten Pressekonferenz Veränderungen an. Die bezogen sich aber allein auf den sportlichen Bereich. Doch der BVB ist seit Klopp nicht nur auf dem grünen Rasen ein anderer. Das Gesicht des Vereins hat sich geändert. Waren wir bis vor kurzem in den Augen vieler noch der eher unsympathische Pleiteverein, der sich immer noch nicht damit abfinden kann, nicht mehr zur Crème de la Crème zu gehören und deshalb fröhlich weiter Geld verbrennt, so hat in Deutschland ein Umdenken stattgefunden. Nicht wenige ärgern sich quasi darüber, dass sie den BVB nun nicht mehr abgrundtief hassen können, weil Jürgen Klopp nun mal ein Sympathieträger mit unbestrittenen fachlichen Kompetenzen ist. Aber was andere denken, kann uns egal sein. Wichtiger ist, was wir über unseren BVB denken.

Gute Laune auch während der PkWer das große Glück (oder Pech) hatte, den Pressekonferenzen mit Thomas Doll beiwohnen zu dürfen, dem wurden nicht nur 400 verschiedene Kampfesfloskeln und Durchhalteparolen um die Ohren gepfeffert. Nein, jeder, der dabei war, spürte die Verkrampftheit der Veranstaltungen mit dem Ex-Trainer. Die BVB-Angestellten saßen mit teilweise versteinerter Miene dort, egal wie das Ergebnis auf dem Rasen ausfiel. Journalisten stellten kaum Fragen, weil die Antworten eh wenig gehaltvoll waren oder schon in der Vorwoche im Block standen.

Und nun das komplette Gegenteil. Seit Jürgen Klopp vor den Presseleuten sitzt, herrscht eine bisher nicht gekannte Lockerheit. Schon bevor die Pressekonferenz losgeht, kann man sich sicher sein, dass der BVB-Trainer irgendetwas erfrischend ehrliches und amüsantes in den Raum Da geht es langwirft. Sei es nun sein Wunsch nach einem Snack oder die Frage, wie denn „noch mal dieser Ligacup heißt, den wir letztens gewonnen haben“. Ihm zur Seite sitzen Sportdirektor Michael Zorc, bei dem eine Ader für feinsten trockenen Humor immer deutlicher wird. Auf der anderen Seite Pressesprecher Josef Schneck, der sichere Moderator der unterhaltsamen Pressekonferenz-Shows. Aber nicht falsch verstehen: Eine PK verkommt beim BVB nicht zur Comedyveranstaltung. Der Humor wird zur rechten Zeit abgestellt und Jürgen Klopp diktiert Sätze fernab von floskelhafter Penetranz in den Block. Dafür sind sie gehalt- und sinnvoll.

Überhaupt scheint das so genannte Umfeld dem BVB-Trainer (noch) wohl gesonnen zu sein. Der Boulevard versucht zwar, Störfeuer zu platzieren und zitierte jüngst einen ehemaligen Blauen, der dort wenig einfallsreich und noch weniger schmeichelhaft „Willi, das Kampfschwein“ genannt wurde und heute der Berater von Tamas Hajnal sein soll. Der Ungar soll unzufrieden gewesen sein und denke an einen Vereinswechsel, sagte Wilmots. Seitdem hat Hajnal drei Tore für den BVB geschossen und gehört zu den Besten im schwatzgelben Dress. Außerdem versuchte eine Sport-Boulevard-Zeitung, das Thema Zidan zum Politikum zu machen. Innerhalb des Vereins solle es nicht stimmen, die Kompetenz in der sportlichen Leitung solle vereinsintern angezweifelt worden sein. Doch irgendwie verpufften diese Nadelstiche. Auch ohne vollmundige Dementi und Statements vor den Kameras. Und noch etwas fällt auf: Wo ist eigentlich Hans-Joachim Watzke? Er hält sich seit dieser Saison angenehm zurück.

Watzke ist eher repräsentativ tätig, so wie gestern in WienEine für uns völlig unbekannte Situation ist die Tatsache, dass der Fan plötzlich ernst genommen wird. Waren wir in den Augen des Vereins bisher zahlungsfreudige Jubelperser, die gefälligst keine Kritik zu äußern haben und Geschenke kommentarlos entgegenzunehmen haben, so interessiert es die Vereinsführung plötzlich, was der BVB-Fan so denkt. Jürgen Klopp will die Fans kennen lernen. Und wissen, was sie denken. Wenn nicht von allen, dann wenigstens von einigen, so vielen wie möglich. Die Diskussionsrunde, zu der unser Trainer kurz vor der Saison eingeladen hat, war keine billige PR-Aktion. Klopp warb für den von ihm vorgesehen Weg und wollte wirklich wissen, was wir denken, was wir von der Saison erwarten. Und hat es sich vor allen Dingen auch gemerkt, was er an diesem Abend zu hören bekam. Einige Wochen später war plötzlich die ungeliebte Evonik-Fahne Geschichte. Jürgen Klopp hatte bei dem Diskussionsabend erfahren, dass wir die nicht besonders schätzen und hat auf dem kurzen Dienstweg veranlasst, dass die Fahne in Die Werbefahne wird die Süd vorerst verschonenZukunft eingerollt bleibt. Mit solchen Aktionen beweist er, dass er durchaus bereit ist, auch von sich aus, was dafür zu tun, dass wir ihm auf seinem bereits eingeschlagenen Weg bedingungslos folgen und unterstützen.

Und im Moment fällt es uns ja auch ziemlich leicht, diesen Weg jubelnd zu beschreiten. Platz 6 nach sieben Spieltagen, 12 Punkte, erst eine Bundesliganiederlage. Im Pokal stehen wir im Achtelfinale. Im UEFA-Cup sind wir nach großartigem Kampf in Udine unglücklich ausgeschieden. Doch auch trotz dieses Wehrmutstropfens, die sportliche Bilanz kann sich bisher sehen lassen. Wir hatten ein Hammerauftaktprogramm und haben bis auf Hoffenheim jeden Gegner am Rand einer Niederlage gehabt. Spielerisch hat das Team ziemliche Fortschritte gemacht. Ok, nach den armseligen Darbietungen der letzten Saison, bei dem das Team teilweise frei von jeder Taktik und System auf dem Platz herumgeirrt ist, konnte es ja nur besser werden.

Klopp in Udine im Gespräch mit SteinbrecherTrotzdem war die Skepsis groß, als wir das Auftaktprogramm mit u.a. Leverkusen, Bayern, Blaue und Stuttgart sahen. So schnell kann das System Klopp nicht greifen, dachten viele. Der Trainer selbst sagte aber beharrlich: „Wir wissen, dass viele Mannschaften besser besetzt sind, als wir, aber die wollen wir trotzdem schlagen.“ Und versprach, dass die Zuschauer sehen werden, dass die Mannschaft Bock hat, Bock zu spielen und vor allem zu gewinnen. Schon am ersten Spieltag siegten wir 3:2 in Leverkusen. Versprechen bereits eingelöst. Und so langsam finden auch die von Jürgen Klopp prophezeiten „Vollgasveranstaltungen“ statt. Der BVB spielt nach vorne und erkämpft sich den Erfolg. Wir sind immer für ein Tor in den ersten Minuten gut. Dass es nicht immer zum Sieg reicht, das kann man der Mannschaft verzeihen. Das Abwehrproblem hat Klopp auch ziemlich schnell in den Griff bekommen. Wir haben zwar inzwischen auch schon wieder einige Gegentore bekommen und Neven Subotic, Mats Hummels und Felipe Santana spielten sicherlich nicht fehlerfrei. Aber alle drei strahlen mehr Sicherheit aus, als alles, was wir in der letzten Saison Ist schwer beeindruckt von der Dortmunder Szenegesehen haben. Und das erstaunlichste: Robert Kovac spielte in seinen bisherigen Einsätzen fehlerlos, als hätte es die Saison 2007/2008 nie gegeben.

Wir Fans ziehen mit. Die Stimmung ist in dieser Saison gut bis großartig. Die zweimaligen Ausreißer nach unten als Roman Weidenfeller etwas vorschnell von einigen verhöhnt wurde oder Mohamed Zidan als Sündenbock des zwischenzeitlichen 0:3 gegen GE herhalten musste, sind inzwischen wieder vergessen. Auch nach dem etwas ärgerlichen 1:1 gegen Hannover wurde die Mannschaft ordentlich bejubelt und nach dem Spiel verabschiedet. Jetzt müssen sich nur noch einige Ewig-WM 2006-Nostalgiker von der inzwischen stinklangweiligen und monotonen Humba trennen und dann könnte Nobby Dickel irgendwann wieder Recht haben. Mit seinem „Beste Fans der Liga“ und so weiter.

Alles in allem fällt die erste Bilanz also positiv aus. Wir sprechen uns in 100 Tagen wieder.

DvB, 12.10.2008

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