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Wie das Spiel verlorenging (David A. Yallop)

03.04.2006, 00:00 Uhr von:  jonam
Wie das Spiel verlorenging (David A. Yallop)
© Amazon

"Der Fußball hat seine Seele verloren. Er ist zum großen Geschäft geworden, zum Megadeal um Milliarden. Bilanzfälschung, Geldwäsche und Waffengeschäfte - für nichts sind sich die FIFA-Bosse zu schade."

So liest es sich auf der Rückseite dieses 1998 veröffentlichen Buchs. Starker Tobak von David A. Yallop, könnte der geneigte Leser denken. Auf 399 Seiten versucht der britische Autor diese Aussagen zu untermauern und darzustellen, was seine jahrelangen Recherchen auf mehreren Kontinenten ergeben haben. Dabei konzentriert er sich auf den Zeitraum von 1974, als die am genausten recherchierte Person, João Havelange, zum FIFA-Präsidenten gewählt wurde, bis 1998, dem Jahr in dem Sepp Blatter kurz vor der Weltmeisterschaft in Frankreich den Brasilianer beerbte. Als Spezialist für Skandale („Im Namen Gottes“) beschreibt Yallop auch reichlich von eben diesen. Dabei legt er wie schon erwähnt ein besonderes Augenmerk auf den „Sonnenkönig“ Jean-Marie Faustin Godefroid de Havelange, der 24 Jahre wie ein Despot über die FIFA und damit über den Weltfußball herrschte. Es wird detailliert beschrieben, wie sich der ehemalige Schwimmer und Wasserballer 1974 gegen den Amtsinhaber Sir Stanley Rous in der Präsidentenwahl mit Hilfe gekaufter Stimmen durchsetzte und wie er sich jede einzelne Wiederwahl mit Zusagen an Verbände und Funktionäre erkauft hat. Nicht nur Havelange, sondern der ganze brasilianische Fußball samt seines Schwiegersohns Ricardo Teixeira, der seit 1989 den brasilianischen Fußballverband kontrolliert, werden durch seine Recherchen nicht gerade im besten Licht dargestellt:

„In Brasilien sind die Spieler praktisch Eigentum des Club-Präsidenten. 95 Prozent aller Profispieler in Brasilien verdienen weniger als 1000 Dollar im Monat. Zur Vermeidung hoher Steuern werden beim Verkauf brasilianischer Stars ins Ausland Mittelsmänner wie der Uruguayer Juan Figer eingesetzt. Figer arbeitet von seinem Büro in São Paulo aus. Er ist öffentlichkeitsscheu, und dies aus gutem Grund: Der Besucher könnte kein Reporter, sondern jemand von den brasilianischen Steuerbehörden sein. Sein hoher Stellenwert für die cartolas (sg.de: „Die großen Hüte“ – brasilianischer Ausdruck für die Männer, die den Fußball im Land kontrollieren, zu ihnen gehört natürlich auch Teixeira) liegt in der Tatsache begründet, dass er Inhaber eines drittrangigen uruguayanischen Fußballclubs der dritten Divison ist, Central Espãnol, die als Briefkastenfirma dient. Zahlungen nicht nur an die cartolas, sondern auch an die durch Vermittlung Figers verkauften Fußballstars werden durch seinen Club geleitet. Uruguayanische Fußballclubs bezahlen auf Gewinne aus Transfers keine Einkommenssteuer. Central Espãnol hat eine große Zahl brasilianischer Spieler in seinen Büchern. Kaum einer von ihnen hat jemals für den Club gespielt. In der ersten Hälfte 1997 sollte Denilson de Oliveira, ein junges Weltklassetalent, vom Club São Paulo zum FC Barcelona transferiert werden. Die vereinbarte Kaufsumme betrug 32 Millionen Dollar. Juan Figer war mit seinem Anteil, der viele Millionen Dollar betrug, unzufrieden. Wie alle Agenten und Mittelsleute ist Figer ein Mann mit großem Appetit. Der Deal platze nicht wegen Denilson, sondern wegen Figers Foderung. Einige Monate später, als Real betis von Spanien bereit war, Figers Preisvorstellungen zu entsprechen, einigte man sich auf eine Transfersumme für Denilson, die mit über 35 Millionen Dollar den Weltrekord darstellte.“

Ein weiterer großer Aspekt des Buchs ist die Beziehung Horst „Adi“ Dasslers zu Havelange, Blatter und den mächtigen im Sport im Allgemeinen. Plausibel wird dargelegt, wie Dassler und sein Geschäftspartner die nötigen Sponsorengelder auftrieben, damit Havelange seine bei der Wahl 1974 gegebenen Versprechen einlösen konnte, unter anderem die Vergrößerung der Weltmeisterschaft von 16 auf 24 Teams. Der Adidas-Gründer hatte früh erkannt, dass er über die Kontrolle der weltweiten Sportverbände Zugriff auf lukrative Marketingrechte bekommen konnte. Noch heute sitzen ehemalige Adidas-Schützlinge in Sportgremien auf der ganzen Welt:

„Dassler war der Ansicht, dass es, je mehr Geld in den Sport gepumpt wurde – Leichtathletik, Fußball, Rugby, das ganze Spektrum -, um so wünschenswerter wäre, die verschiedenen Verbände zu kontrollieren, die diese verschiedenen sportlichen Disziplinen führten. Lange bevor Nally (sg.de: späterer Geschäftspartner von Dassler bei ISL) sich mit ihm verbündete, war Dassler bereits damit beschäftigt, einzelne Sportstars einzukaufen, um sicherzustellen, dass die Fernsehzuschauer auf ihren Bildschirmen ein Paar adidas-Rugbystiefel sahen, wenn der Strafstoß ausgeführt wurde. [...] Jetzt, als die Chance bestand, dass Bootsladungen von Geld am Dock eintreffen würden, machte Dassler den Quantensprung. Wenn Großunternehmen den Sport sponserten, war es viel wichtiger, den Verband zu kontrollieren, dem der Sportler angehörte, als nur den Sportler selbst.

Dassler ging mit beinahe wissenschaftlicher Methodik an den Versuch heran, sämtliche Sportverbände zu korrumpieren. Er rief etwas ins Leben, was er großspurig sein „politisches Team“ nannte – eine Gruppe, die für globale Überwachung und Infiltration verantwortlich war. Verbände, Sportpolitiker, Journalisten. Wenn man in der Welt des Sports in den siebziger und achtziger Jahren Einfluß hatte, konnte man mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass über kurz oder lang Dassler oder einer seiner Leute bei einem auftauchen und ein Angebot machen würde, dass man hoffentlich unwiderstehlich finden würde.“

Auch Blatter, der sich 1981 mit Hilfe Havelanges und des deutschen Sportausrüster auf den Posten des Generalsekretärs der FIFA hievte, um schließlich 1998 in einem beispiellosen Wahlkampf seinem Ziehvater zu beerben, ist ein Produkt der Dassler-Methodik. Dass er mit Hilfe vieler afrikanischer Verbände, die ihre Stimme vorher dem Gegenkandidaten und UEFA-Präsidenten Lennart Johansson versprochen hatten, gewann und dass er diesen Verbände mit Hilfe des Emirs von Katar großzügige Versprechungen machen konnte, ist laut Yallop mehr als ein offenes Geheimnis.

So werden in dem Buch durchgehend skandalöse Zustände innerhalb der FIFA-Familie und einzelner Verbände, sowie die Verstrickung von Politik, Wirtschaft und Sport klar aufgezeigt. Das ist die eine Seite der Medaille und es ehrt David Yallop, dass er auf der ganzen Welt recherchiert und Interviews mit vielen wichtigen Personen geführt hat. Dass seine Sicht der Dinge in seiner Eigenschaft als Autors eines Skandalbuchs teilweise etwas einseitig ist und er von klaren Indizien schnell auf unumstößliche Tatsachen schließt, ist das, was den Leser vorsichtig machen sollte. Dass das Buch auf Bestreben Sepp Blatters nicht mehr in Deutschland und anderen Ländern verkauft werden darf, ist sicherlich kein Maßstab für den Wahrheitsgehalt dieses Werkes, zeigt aber vor allem, dass der amtierende FIFA-Präsident an einer empfindlichen Stelle getroffen wurde.

Im übrigen gibt es natürlich auch noch andere Werke, die versuchen die Geschichte der FIFA zu beleuchten. Ein Standard- und Meisterwerk, das wissenschaftlichen Maßstäben standhält, ist „100 Jahre Weltfußball“ von unter anderem Christiane Eisenberg, Professorin am „Centre for British Studies“ („Großbritannien-Zentrum“) der Humboldt Universität zu Berlin. Wo Yallop der Sensationsautor ist, der viel Wert auf Recherche im Umfeld des Fußballs legt, haben Eisenberg und ihre Co-Autoren sich eindeutig auf die FIFA-Archive konzentriert. Dass dabei einerseits objektiver über die Institution FIFA berichtet werden kann, aber andererseits das Umfeld und die Motivationslage der Protagonisten komplett außen vor gelassen wird, mündet in dem, was schwatzgelb.de dem Leser mitgeben kann: Am besten beide Werke besorgen und lesen. Danach kann sich jeder selbst ein Bild machen, was er dem jeweiligen Autor glauben soll und was nicht und kann sich so eine fundierte Meinung bilden. Woher bekomme ich den Stoff?

- Da, wie schon erwähnt, „Wie das Spiel verlorenging“ nicht mehr in Deutschland erhältlich ist, kann hier nur auf Ebay und andere Bezugsquellen verwiesen werden.

- „100 Jahre Weltfußball“ lässt sich bei amazon.de bestellen (und ein Sportgroschen geht auch noch an schwatzgelb.de ;-).

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