Von Fans - Für Fans

Fandemo

20.05.2002, 00:00 Uhr von:  Jens
Fandemo
Die Südtribüne

Vor einer Woche fand erstmals in Deutschland eine Fandemo aller aktiven Fans statt. Als Ort wurde aus gutem Grund die Bundeshauptstadt Berlin ausgeguckt, da beim DFB-Pokal-Finale genug Medienvertreter und Fans in der Stadt waren, um die Demo publikumswirksam inszenieren zu können. Zuvor war lange gerätselt worden, mit wie vielen Teilnehmern denn nun zu rechnen sei. Viele rechneten mit knapp 1.000 Demonstranten. Mehr schien aufgrund des Schwerpunktes nicht drin zu sein – zu kompliziert und realitätsfremd erscheinen manchem Gelegenheits-Auswärtsfan die Forderungen und die Probleme vieler Fans.

Schon im Vorfeld war klar, dass die Demo von Ultras dominiert werden würde, denn schließlich war die Idee auf der deutschlandweiten Ultras-Konferenz in Frankfurt geboren worden. Offensichtlich hatten die Ordnungsmacht und die DFL nicht damit gerechnet, dass sich Fans derart vereinsübergreifend einig sein könnten. Doch provoziert haben es die Funktionäre letztlich selbst. Damit haben sie erreicht, was sie eigentlich nicht erreichen wollten. In Italien war diese Art der Demonstration gescheitert, als sich Fans der beteiligten Vereine auch nonverbal näher kamen.

Die Polizei hielt sich zunächst nicht wie besprochen zurück und wollte einige Fahnen und Banner überprüfen. Fragt sich, ob dies bei einer Gewerkschaftsdemo auch der Fall wäre. Mit Fußballfans, den geborenen Asozialen, kann man das aber machen.

Nach einer Begrüßung durch die Berliner Organisatoren kam der Bochumer Marco mit der Beschreibung einer typischen Auswärtsfahrt zu Wort. Danach Uli von den Phoenix Sons Karlsruhe, der ein paar Lieder vom Demowagen zum Besten gab, in denen er sich über die Behandlung der Fans ausließ („Fußball ohne Fans ist wie Schnitzel ohne Pommes“). Dabei fand er drastische Worte für die reinen TV-Konsumenten, muss er als Zweitliga-Fan doch unter dem DSF noch mehr leiden als die meisten Bundesligisten unter Premiere. Das brachte die Demo dann auch in den richtigen Schwung und die Stimmung, um endlich loszuziehen.

Ursprünglich waren alle Gruppen aufgefordert worden, ihre Fahnen und Banner mitzunehmen, leider taten das am Ende nur wenige.

Der Demonstrationszug bewegte sich nun vom Alexanderplatz (30 Minuten musste noch auf verspätete Busse gewartet werden) durch die Berliner Innenstadt und „Unter den Linden“ rund zwei Stunden lang wieder auf den Alexanderplatz zu. Zwischendurch hielt noch Thomas Weinmann („Tower“) vom Fanprojekt Mönchengladbach eine Rede, in der er darauf aufmerksam machte, dass auch die Fans/Ultras eine Kröte zu schlucken hätten. Es müsse Schluss mit Rauch und Bengalos sein, andernfalls werde der Polizei immer ein Alibi für viele Aktionen geboten. Man darf gespannt sein, wie wichtig vielen Gruppen und „Einzeltätern“ ihre Pyromanie ist. Der Fanbewegung schadet sie eher als dass sie ihr nutzt. Allerdings wird Pyrotechnik von vielen Fans als letzte Chance gesehen, überhaupt noch etwas Farbe ins Spiel zu bringen. In vielen Stadien sind Fahnen und vieles andere verboten, so dass den Gästefans oft nur Rauchpulver bleibt, um sich in Szene zu setzen, um zu zeigen: „Hallo, wir sind auch noch da!“ Rauchpulver lässt sich offensichtlich immer irgendwie ins Stadion schmuggeln, eine Fahne leider nicht so leicht.

Die Demo wurde immer wieder durch gemeinsame Aktionen unterbrochen, so gab es zum Beispiel vor dem Bahnhof Friedrichsstrasse eine gemeinsame „Uffta“ (bei uns macht man stattdessen eine „Humba“). Gesänge wie „Alles außer Fußball ist scheisse!“, „Vorfelder raus!“, „Schnitzel mit Pommes“ usw. prägten das Bild dieser friedlichen Veranstaltung.

Natürlich muss man konstatieren, dass eine Anzahl von 2.500 Fans gering ist, wenn man die nackten Zahlen betrachtet. Allein in Berlin waren an diesem Nachmittag mehr als 60.000 Fußballfans und –Anhänger aus Gelsenkirchen und Leverkusen versammelt. Dazu die vielen tausend Fans der Berliner Vereine und der angrenzenden Klubs wie Babelsberg oder auch Cottbus.

Doch muss man dazu wissen, dass die Demo ursprünglich nur von Ultras geplant wurde und entsprechend auch größtenteils Ultras an dieser Demo teilnahmen. Nur wenige „normale“ Fans wussten überhaupt von der Demo und nahmen entsprechend nicht teil. Einen Großteil der Fans betrifft die Demo sogar überhaupt nicht, da sie keine oder nur sehr wenige Auswärtsspiele besuchen und die Problematik nur am Rande kennen.

Womit wir auch schon beim Bild in den Medien sind: Dort finden Ultras nicht statt, ihre Choreographien werden nur selten gezeigt und dann auch nicht mit Ultras in Verbindung gebracht. Wenn Ultras erwähnt werden, dann die der italienischen Vereine wie Lazio Rom oder Hellas Verona, deren Ultraszene stark politisiert ist. In Deutschland sind die Ultras jedoch zum größten Teil unpolitisch, was wiederum die „taz“ zu der These verleitet, sie seien eigentlich doch rechtsradikal. Sie untermauert dies in ihrem Demobericht damit, dass Demoteilnehmer kurze Haare, Turnschuhe, Polohemden und Jeans tragen würden. Gratuliere, liebe „taz“, für diese selektive Wahrnehmung garniert mit Oberflächlichkeit und Unkenntnis. Dann wird noch schnell in einem anderen Bericht das gute alte Vorurteil über die britische Sportmarke „Lonsdale“ hervorgekramt, um den politischen Hintergrund der Demoteilnehmer beweisen zu wollen. Hierzu gibt es im Spiegel einen interessanten Artikel. Kein Wort davon, daß auf der Demo Anhänger vieler Vereine mit eher linker Fanszene waren. Kein Wort von T-Shirts mit Che-Guevara-Konterfei oder gar rotem Stern.

Traurig, dass ausgerechnet die „Süddeutsche Zeitung“ und die „taz“ derart oberflächlich über eine Demo berichten, wie sie weltweit noch nicht stattgefunden hat. Kein Wort davon, dass diese Art der Demonstration in anderen Ländern an der Gewalt untereinander scheitert, dies in Deutschland aber eher hinten ansteht. Offensichtlich ist das Thema noch nicht wichtig genug für sie, um sich ausreichend damit zu beschäftigen.

„Ultras“ sind eine der wenigen aktiven Fanbewegungen in Deutschland. In einer Zeit, in der viele Fans längst zu konsumierenden Sesselpupsern mutieren, in der der Begriff „Fan“, der eigentlich von „fanatisch“ kommt, mit Füßen getreten wird und sich jeder „Fan“ nennt, der einmal im Clubversand einen Schal bestellt hat. War diese Demo und die Aktivitäten rund um „Pro 15:30“ (die von vielerlei Fangruppen getragen und unterstützt wurde) der Beginn einer neuen Welle in den Stadien? Da gilt es abzuwarten, wie viele Fans sich ernsthaft mit den Problemen beschäftigen wollen.

Die Demonstranten in Berlin hatten ihre Gründe, auf die Straße zu gehen, um für ihre Art, Fußball zu leben und zu erleben, zu kämpfen. Viele hunderttausend Fußballfans in Deutschland leben Fußball ebenso, vielleicht auf eine andere Art, doch noch haben sie den Kampf nicht aufgenommen. Möglicherweise haben viele schon resigniert oder einfach noch nicht mitbekommen, was um sie herum mit „ihrem“ Fußball geschehen ist und weiter geschehen wird.

Die Fankultur vergangener Jahre ist beinahe überall abgestorben, die Vereine und Medien haben dies nie bedauert. Ein Konsumentenpublikum analog zum Baseball und anderen US-amerikanischen Sportarten scheint ihnen eine begehrenswerte Zukunft. Hört man Blatter & Co. reden, weiß man, was 2006 auf uns zukommt. Kein Bier, denn das trinke man im Theater ja auch nicht, keine Fahnen, keine Stimmung. Dafür wird es Cheerleader und Musik vom Band geben, damit der Familienblock auch hübsch nur das singt, was die feine Gesellschaft hören will. Der Volkssport Fußball, der immer von den Emotionen seiner Fans gelebt hat, wird pervertiert, er mutiert immer mehr zu einer Show nach Football-Vorbild.

Die DFL ist schon bemüht, es so aussehen zu lassen. Während der Meisterzeremonie im Dortmunder Westfalenstadion dröhnten aus den Boxen handverlesene Musikstücke genehmer „Stimmungsmusiker“, der Fan tritt immer mehr in den Hintergrund. Wer das wirklich will, begebe sich auf seinen Sitzplatz und schweige 90 Minuten lang, aber Pfiffe sind dann auch nicht erwünscht. Doch genau das züchtet sich der Fußball heran, ein verwöhntes Operettenpublikum, das Fußball nur noch als Ware sieht und auf schlechte Ware eben auch negativ reagieren möchte. Und genau da liegt die Crux in der Mutation des Fußballs, die die Geschäftemacher in den VIP-Logen nie bedacht haben. Fußball lebt von der Stimmung im Stadion und negative Stimmung verkauft sich schlecht. Der eine oder andere Manager will das nun erkannt haben und glaubt, stimmungsfördernde, künstliche Maßnahmen seien der Weisheit letzter Schluss. Cheerleader, ohrenbetäubend laute Musik und alberne Möchtegern-Maskottchen sind wohl erst der Anfang dessen, was uns bevorsteht.

Bis zur WM 2006 sollen die deutschen Stadien gleichgeschaltet sein. Weg mit dem singenden Pöbel, der zuviel Bier trinkt und sich sowieso nur mit dem Gegner schlagen will. Gleich aussehen werden die Stadien sowieso, die Unterschiede werden marginal sein, die Preise ebenso. Überall das gleiche, zentral vermarktete – natürlich alkoholfreie – Bier, die gleichen Würstchen, Hamburger, HotDogs etc.pp. Bloß keine regionalen Besonderheiten. Der Gast soll sich heimisch fühlen, die WM im Mallorcastil.

Vielleicht sind das aber auch alles bloße Hirngespinste, und die WM wird ein Volksfest, mit der Gelegenheit, fremde Kulturen kennen zu lernen und andererseits unser Land und die Regionen entsprechend darzustellen. Vielleicht können also auch „einfache Leute“ aus unserem und anderen Ländern an dieser WM teilhaben, die WM 2002 macht dies ja bereits unmöglich.

Die Horrorvision dürften Stadien voller gut zahlender Menschen sein, die 90 Minuten lang emotionslos auf das Spielfeld starren und einzig bereit sind, ihren Unmut über misslungene Aktionen zu äußern. Keine Fahnen, keine Choreographien und einfach null Stimmung. Dafür gibt es ja dann die Cheerleader oder die bezahlten Fans in den jeweiligen „Fanblöcken“, wie bereits jetzt in Japan/Südkorea. Prost, Fußball der Zukunft.

Der Anfang ist bereits gemacht, Cheerleader und ohrenbetäubende Musik gibt es fast in jedem Bundesligastadion. Gästefans werden in die Ecken gedrängt und entsprechend schlecht behandelt. „Hoffentlich kommen bald keine Gäste mehr“, scheint das Motto der modernen Arena-Architekten und Sicherheitsfanatikern zu sein (mal am Rande: ein schwacher Gästeblock, der in einer akustisch miesen Ecke postiert wird, schadet der gesamten Stimmung, man zieht sich nicht mehr gegenseitig hoch). Der Pöbel im Gästeblock wird pausenlos überwacht, schon auf der Anfahrt per Videokamera und vorgezeigtem Personalausweis „videographiert“ und wie Vieh durch enge Gänge in den Block getrieben. Alles zur eigenen Sicherheit, versteht sich. Aus diesem Grunde werden dann auch gerne Fahnen, Megaphone und Fotoapparate abgenommen. Mit diesen könne man werfen oder sonstige schlimme Sachen machen. Differenziert wird sowieso selten bis überhaupt nicht, wer zu Auswärtsspielen fährt, ist gefährlich und wird auch so behandelt. Professionelles handeln im Millionenbetrieb Bundesliga geht an den meisten Ordnungsdiensten noch immer vorbei. Die lassen sich für besonders rigide Maßnahmen lieber feiern.

Dass echte Sicherheit bei modernen Stadien kaum noch gegeben ist, scheint unglaublich. Doch was passiert bei einer Massenpanik, etwa in der „Arena auf Sch*lke“? Vollautomatische Drehtore, durch die nur eine Person passt, mögen beim Einlass kontrollierbarer sein, aber bei einer Panik und Flucht können sie eine Todesfalle sein. Gleiches gilt für den schmalen Gang vom Eingang zum Gästeblock, der knickt zwischendurch ab, führt durch einen kleinen Tunnel und dann eine Treppe hinauf, um dann vor einer Glastür zu enden. Die panikartige Flucht durch die schmale Glastür, die Treppe hinunter und den schmalen Gang entlang, bis sie endlich am Drehkreuz endet, möchte ich mir nicht vorstellen. Natürlich lassen sich neben dem Drehkreuz zwei normale kleine Tore öffnen, doch wehe im Moment der Panik ist kein Schlüssel oder entsprechender Ordner da. Die Arena ist nur exemplarisch, sie erfüllt lächerlicherweise alle Maßgaben der FIFA für die WM 2006. Das Westfalenstadion wird bald ebenfalls eine elektronische Einlasskontrolle bekommen und damit ebenso „sicher“ werden. Die anderen Neu- und Umbauten werden entsprechend folgen. Moderne Sitzplatzarenen erschweren darüber hinaus auch die schnelle Flucht vom Sitz, handelt es sich doch überall um Schalensitze mit Rückenlehne. Aus Platzgründen sind diese dann Reihe für Reihe auch noch schön eng beieinander. Eine Flucht ist so nur schwerlich möglich. Auch die Flucht auf den Rasen wird durch hohe Mauern, Gräben oder den herausfahrbaren Untergrund (auch hier entsteht eine Art Graben zwischen Spielfeld und Zuschauerrängen) unmöglich gemacht, was eigentlich durch die Abschaffung der Zäune wieder möglich sein sollte (Sheffield-Katastrophe).

Fordern wir Fans den Abbau von unserer Meinung nach übertriebenen Sicherheitsbestimmungen wird gern mit „über Sicherheit lässt sich nicht diskutieren!“ geantwortet. Wie sieht es denn hiermit aus? Da wird vom wirklich gefährlichen Bengalo, über das Feuerzeug bis zur Fahne alles aus sicherheitsrelevanten Gründen verboten, und dann gilt dies für Panikreaktionen des Publikums nicht mehr? In Wahrheit scheinen die Überwachung des Publikums und der Kommerz eben doch viel, viel wichtiger als die angebliche Sicherheit im Stadion zu sein.

Wacht auf und kämpft! Fußball war, ist und muss Volkssport bleiben! Fußball begeistert die Massen über alle Klassen hinweg, er darf nicht zum Familienereignis mit Popcorn und Eiscreme verkommen. Fußball ist mehr als 90 Minuten elf gegen elf, mehr als ein reines TV-Ereignis, mehr als „Brot und Spiele“. Der Fußball gehört auch uns, niemand will der Industrie verbieten, damit Geld zu verdienen, auch sie hat dazu ihr gutes Recht, aber nicht die Industrie hat den Sport groß gemacht, sondern die Vereine und ihre Anhänger, ohne die große Klubs eben keine großen Klubs wären.

Reclaime the game – holt Euch das Spiel zurück!

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