Im Gespräch mit...

schwatzgelbes Halbzeitgespräch mit Dietrich Schulze-Marmeling

14.02.2002, 00:00 Uhr von:  Wade

"Stillstand ist Rückschritt",... ...diese altbekannte Weisheit ist der Ansporn für schwatzgelb.de ab heute in loser Reihenfolge prominente Gäste, die bekennende Borussenfans sind, zum schwatzgelben "Halbzeitgespräch" zu beten. In diesen Gesprächen sollt ihr Erfahren, was unseren Gast "Rund um den BVB" bewegt. Wird starten die neue Serie mit Dietrich Schulze-Marmeling, Buchautor und Lektor beim Werkstattverlag, vielen BVB Fans bekannt durch sein Buch "Die Geschichte von Borussia Dortmund."

Das schwatzgelbes Halbzeitgespräch

Dietrich Schulze-Marmeling, geboren 1956 in Kamen, hat seine Begeisterung für Borussia Dortmund ganz sicher seinem Geburtsort zu verdanken. Er stammt aus einem akademischen Haus, in dem, wie er selbst sagt, Fußball überhaupt keine Rolle spielte. Sein Großvater, der im Elternhaus lebte, war aktiver Burschenschaftler und Turner; für ihn war Fußball "englischer Aftersport", so nannte man das früher. Sein Vater sah das liberaler, doch der hielt es mit Sport eher wie Churchill: "No Sports". Doch wer in Kamen lebt und aufwächst, der kommt nicht an Fußball und schon gar nicht an Borussia Dortmund vorbei.

So ergab es sich im zarten Alter von acht Jahren, dass der kleine Dietrich ein Sammelbild suchte vom Spieler "Borussia Dortmund", beseelt von dem Gedanken, dass es sich um einen russischen Spieler (Bo"russ"ia) handeln musste, der in Dortmund spielte. Es dauerte jedoch nicht lange, da waren alle Unklarheiten im Kreis der Freunde beseitigt, und so stand er schon bald, wie jeder von uns bei seinem ersten Stadionbesuch, mit weit aufgerissen Augen im Stadion "Rote Erde". Die Eltern zeigten Verständnis für die große Leidenschaft ihres Sohnes, und Dietrich spielte im großen Garten des Elternhauses mit seinen Freunden stundenlang Spielszenen des BVB nach.

Glanzvolle Zeiten sollte er erleben, etwa den Sieg 1966 im Europapokal der Pokalsieger. Aber auch die bitteren Jahre der Zweitklassigkeit. So wurde der BVB ein Stück seiner eigenen Geschichte, und in seinen Büchern versteht er es wie kein Zweiter, diese Erlebnisse den Lesern zu vermitteln.

Bis 1978 lebte Dietrich Schulze-Marmeling in Kamen. Danach studierte er in Münster und in Frankfurt Politik und Sozialwissenschaften. 1984 zog er Altenberge im Münsterland. Dort lebte und arbeitete er drei Jahre, bevor er 1987 für ein Jahr als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Schwerpunkt "mittlerer Osten" nach Bonn ging. 1988 zog er zusammen mit seiner Frau nach Nordirland, wo er als Journalist arbeitete und anderthalb Jahre lang schwerpunktmäßig über den Nordirlandkonflikt berichtete, während seine Frau dort als Ärztin arbeitete. Zu dieser Zeit begann er auch über den Sport zu schreiben. Seine Schreibtätigkeit, was den Fußball anbelangt, stammt aus der Zeit in Nordirland. Auslöser war die Hillsborough-Katastrophe.

Schulze-Marmeling schrieb damals für ein deutsches Fanzine, dem "Millerntor - Rohr", eins der ersten deutschen Fanzines überhaupt. In seinem Artikel berichtete er über die Hintergründe des Unglücks. Sein erster Fußball-Artikel, dem eine große Anzahl an fundierten Fußballbüchern folgte.

Sein erste Buch "Der gezähmten Fußball" erschien 1992 und sorgte damals für ziemlich viel Furore, weil es eine neue Form der Fußball-Literatur war. Bereits sein zweites Werk machte ihn dann in der Fanszene des BVB zur bekannten Größe. 1994 erschien die 1. Auflage der BVB-Geschichte, mit dem Titel: "Der Ruhm, der Traum und das Geld". Das zusammen mit Werner Steffen geschriebene Buch wurde mittlerweile zum vierten Mal neu aufgelegt und ist bis heute über 20.000-mal verkauft worden. Seit 1989 lebt und arbeitet Dietrich Schulze-Marmeling wieder in Altenberge.

SEITENWAHL

schwatzgelb.de: Du lebst in Altenberge, wie oft bist Du noch live im Westfalenstadion?

SCHULZE-MARMELING: Leider nur noch sehr selten. Das liegt daran, dass mein Sohn ein sehr eifriger Fußballspieler ist (Torwart beim TuS Altenberge), dazu noch recht erfolgreich (spielt in der D-Jugend Kreisauswahl Münster-Warendorf) und ich Trainer seiner Mannschaft bin. Das kollidiert leider häufig mit dem Spielplan des BVB. Wenn ich es schaffe, dann sind es Mittwochsspiele die ich noch live besuchen kann, oder wir haben unser Spiel vorverlegen können, so dass wir mit der gesamten Mannschaft zum BVB gegangen sind. Die letzte Saison in der ich kein Spiel verpasst habe war die Saison 1994/95.

schwatzgelb.de: Kannst Du Dich noch erinnern, wie und wann Du BVB-Fan geworden bist?

SCHULZE-MARMELING: Das war in der Saison 1965/66, im zarten Alter von 8 Jahren. In der Grundschule sind alle für Borussia Dortmund gewesen. Ich war damals der festen Überzeugung, dass es sich beim BVB um einen Spieler handeln würde, der Borussia hieß. So war ich dann hinter diesen Fußballbildchen her, um diesen Spieler Borussia Dortmund zu bekommen. Ich bildete mir ein, es müsste sich dabei um einen Russen handeln, Bo"russ"ia. Im laufe der Saison wurde ich dann aufgeklärt. In diesem Jahr gewann der BVB den Europapokal der Pokalsieger. Am Ende der Saison wusste ich alles über Borussia. Ganz ehrlich, es gab in Kamen damals auch keine andere Chance als BVB-Fan zu werden. (lacht)

schwatzgelb.de: Was war der bewegendste Moment, den Du als Fan mit dem BVB erlebt hast?

SCHULZE-MARMELING: Da gab es negative und positive Begebenheiten. Die 1:11 Niederlage in München mit dem anschließenden Abstieg war sicher ein negativer Höhepunkt. Ich kann mich noch dran erinnern, als wir dann nach Lünen oder Mühlheim-Styrum kamen. Da gab es oftmals ein ziemliches Gelächter. Man war ja Großstädter und musste nun in die Niederungen der 2. Liga, dass habe ich schon ein bisschen als Demütigung empfunden.

Der bewegendeste Moment, würde jetzt meine Frau sagen, war der letzte Spieltag der Saison 94/95. Der 2:0 Sieg gegen den HSV und der Gewinn der deutschen Meisterschaft. Damit hatte man ja nicht unbedingt rechnen können. Meine Frau wirft mir noch heute vor, dass ich Tränen in den Augen gehabt hätte - im Gegensatz zur Geburt unseres ersten Kindes. Ich war am Vortag noch in Dortmund gewesen, um Karten abzuholen. Da herrschte schon rund um das Stadion ein unglaublicher Optimismus, so als ob schon alles klar wäre.

Das Spiel selbst habe ich als unglaublich nervöses in Erinnerung. Man hatte den Eindruck, die Mannschaft habe Angst davor, Meister zu werden. Die schoben den Ball irgendwie so über die Runden. Diese Meisterschaft war wirklich die absolute Wiedergutmachung für all die harten Zeiten, die man vorher erlebt hatte.

schwatzgelb.de: Bist Du Vereinsmitglied bei Borussia und/oder in Besitz einer Dauerkarte?

SCHULZE-MARMELING: Ich bin Vereinsmitglied bei Borussia, allerdings ohne Dauerkarte. Das würde sich bei meiner besonderen Situation nicht lohnen. In der Saison 93/94 habe ich mal ohne Erfolg versucht eine Dauerkarte zu ergattern, aber da war es völlig unmöglich. Die wurden ja fast wie Aktien gehandelt.

ANPFIFF

schwatzgelb.de: Im Januar dieses Jahres erschien die 4. Auflage Deines Buches rund um die Geschichte des BVB. Für jeden Borussen-Fan eine Pflichtlektüre. Werner Steffen und Du haben 1994 die erste Auflage veröffentlicht. Wie viele Bücher wurden bisher verkauft?

SCHULZE-MARMELING: Genau weiß ich es nicht. Da müsste man unsere Auslieferungsspeziallisten fragen. Soweit ich aber weiß, sind es über 20.000.

schwatzgelb.de: Wer übernimmt welche Aufgaben bei der Erstellung des Buches?

SCHULZE-MARMELING: Es ist schon so, das ich mehr schreibe und Werner sich auf das Zuarbeiten konzentriert. Ich bin in dem Verlag tätig, so habe ich die notwendige Zeit zum Schreiben. Werner ist von Beruf Sozialpädagoge, der muss quasi alles am Feierabend machen. Aber wir streiten uns auch nicht um irgendwelche Prozente. Das ist schon eine ganz gute Partnerschaft.

schwatzgelb.de: In Deinen Büchern hast Du nicht nur die Geschichte des Vereins sehr lesenswert aufgearbeitet, sondern bist auch kritisch mit den einzelnen Epochen umgegangen. In der 1. Ausgabe 1994 hast Du genau beschrieben, wie sich die Fanszene in Dortmund Anfang der 90-er Jahre verändert hat. Deine Ausführungen sind immer noch topaktuell. Viele Fans fürchten die immer stärker werdende Kommerzialisierung, sehen sich nur noch als schmückendes Beiwerk des großen Geschäfts "Fußball". Viele wollen zurück zu den Wurzeln. Aktionen wie "Pro15:30" brachten sogar Erfolge. Wie siehst Du die aktuelle Situation der Fans beim BVB?

SCHULZE-MARMELING: Ich bin heute noch der Meinung, dass die erste Auflage den passendsten Titel "Der Ruhm, der Traum und das Geld" hatte. Es spiegelte die Entwicklung des Vereins wieder. Was ich früher als sehr positiv empfand, war die Selbstinszenierung der Südtribüne. Allein die Sprüche, die dort kreiert wurden, das war schon einmalig. Ein Ort von höchster Kreativität, das war witzig und ironisch - einfach Stimmung pur, einfach klasse.

Mich hat es dann sehr gestört, als diese großen Videobildschirme eingeführt wurden und man bis zum Abwinken vollgeplärrt wurde. Ohnehin muss man sich fragen, was für ein Sinn dahinter steckt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass da überhaupt einer hinhört. Das ist einfach unerträglich. Warum macht man das? Die Südtribüne ist doch von der Authentizität viel besser. Die braucht doch keinen Dirigenten, die Fans dort dirigieren sich selbst. Denen müssen nicht irgendwelche Lieder oder sonst was vorgeben werden. Durch diese unsinnige Aktion wurde die Süd mit der Zeit unhörbar. Wenn man z.B. auf der Nordtribüne saß, was bei mir damals öfter der Fall war, konnte man die Südtribüne kaum noch hören. Man vernahm nur dieses Geplärre von den Videowänden, sah wie sich die Südtribüne bewegte, aber man konnte es nicht hören. In letzter Zeit scheint es so, dass dieser Unsinn wieder etwas zurückgenommen worden ist. Man hat wohl gemerkt, dass es der Stimmung nur schadet.

schwatzgelb.de: Hat so etwas Deiner Meinung nach System?

SCHULZE-MARMELING: Das erleben wir doch öfter im Fußball. Da gibt es irgendwo eine Mode, meistens aus den USA vorgegeben, weil der US-Sport ja hier immer noch als Marktbild schlechthin gilt, und man meint dann, das auch machen zu müssen. Ein paar Monate später stellt man dann fest, es kommt nicht so ganz an beim Fan und zieht die Sache wieder zurück. Was einen aber nicht daran hindert, bei der nächsten Gelegenheit die nächste Mode einzuführen. Ich sag nicht, dass das alles falsch ist, aber ich glaube schon, dass das Publikumsverhalten hier zu Lande anders ist als in den USA. Beides ist historisch gewachsen.

schwatzgelb.de: Woran könnte es noch liegen, dass die Stimmung im Westfalenstadion, vor allem auf der Süd, nicht mehr so ist wie Anfang der 90-er?

SCHULZE-MARMELING: Ich denke, es hängt alles ein bisschen mit dem Ausbau zusammen. Denn über den Ausbau hat sich auch die Zusammensetzung der Südtribüne geändert. Das Publikum in Dortmund ist über die Jahre launischer geworden. Ich kann mich noch erinnern, dass damals in der Zeit von Nevio Scala auf der Haupttribüne "Scala-Raus" gerufen wurde, während er auf der Südtribüne gefeiert wurde, dass bewusst dagegen gehalten wurde. Da gab es richtige Auseinandersetzungen zwischen den Fans auf der Südtribüne und den auf den Sitzplätzen. Auch heute gibt es immer noch Differenzen zwischen den Leuten, die sitzen und denen, die auf der Südtribüne stehen. Aber diese Differenz ist nicht mehr so groß wie früher. Das Publikum ist insgesamt doch launischer geworden. Was aber auch irgendwo natürlich ist, denn dieser Verein ist ein anderer geworden, alleine von den Ansprüchen her. Man wird sich in Dortmund nicht mehr damit zufrieden geben, wenn eine Mannschaft, die nur aus Kämpfern besteht, zwar immer super kämpft aber am Ende verliert und gegen den Abstieg spielt. Das wird heute nicht mehr ankommen.

schwatzgelb.de: Neue Fangruppen machen sich auf, die Stimmung in den deutschen Stadien zu verbessern. Diese Gruppen (Supporters, Ultras) verzichten z.B. in Dortmund auf den Einsatz von Rauch und Pyro und legen ihren Schwerpunkt auf Fahnen, Doppelhalter und Choreos. Ihre Akzeptanz bei den anderen Fans ist aber noch gering. Was denkst Du, woran das liegt?

SCHULZE-MARMELING: Was ich mir vorstellen könnte ist, dass sie auf andere Fans total extremistisch wirken. Weil sie etwas zurückholen wollen, was nicht der Auffassung der anderen Fans entspricht. Vielleicht auch alles ein bisschen aufgesetzt wirkt. Doch auf Grund meiner Distanz bin ich da vorsichtig in meinem Urteil. Ich habe das ein bisschen am Beispiel von Bayern München verfolgt, wo es auch Versuche gab, Gruppen zu Ultras zusammen zu schließen, die zum Teil mit negativen Geschichten verbunden waren. Nicht nur was Pyro und Rauch anbetrifft, sondern auch politische Ansichten. Deshalb muss man mit den Äußerungen bezüglich dieser Fangruppen ganz vorsichtig sein. Man kann nicht Ultragruppen und Ultragruppen in einem Topf schmeißen. Bei diesen Fanbewegungen spielt sicher auch Aktionismus gegen diese, ich sag mal "Sesselfurzer", auf der Haupttribüne, die überhaupt keine Stimmung im Stadion mehr machen, mit. Es gibt doch immer weniger Leute, die die Härte des Fanseins noch auf sich nehmen. Deshalb kann ich mir auch vorstellen, dass es auf viele Leute dann sehr extrem und kulturell befremdlich wirkt.

Nun muss man aber berücksichtigen, dass auf der anderen Seite der Fans, auch Veränderungen gegeben hat, dass heute zum Teil ganz andere Leute ins Stadion gehen als früher. Früher war ein gewisser Fanatismus rund ums Spielfeld immer gegeben, auch auf der Haupttribüne, nicht nur auf den Stehrängen. Die Haupttribünen waren ja früher auch viel kleiner als heute. Es haben früher deutlich weniger Leute gesessen als gestanden. Bis sich dieser Trend dann Anfang der 90-er Jahre umgekehrt hat. Daher gehen heute auch mehr Leute ins Stadion, die überhaupt solche Formen von Fansein befremdlich finden.

schwatzgelb.de: Glaubst Du, dass die Ultrabewegung, sogar eine neue, eigene Jugendkultur ist. Oder glaubst Du, dass es für die deutsche Ultra-Szene entscheidend ist, Subkultur zu sein?

SCHULZE-MARMELING: Von außen betrachtet habe ich vor allem immer den Eindruck, dass das alles so ein bisschen abgekupfert ist. Nach meiner Meinung hat das deutsche Fandasein immer ein bisschen darunter gelitten. Früher waren es immer diese britische Fahnen, weil man der Überzeugung war, dass die besten Fans von Europa auf den britischen Inseln leben würden. Also mussten wir uns dann auch so, wie die englischen Fans geben. Das gleiche gilt für die Schals. In England gab es schon immer Schals, in Deutschland sind die erst viel später gekommen. Als ich das erst mal im Stadion Rote Erde bei einem Spiel live dabei war, da gab es keine Schals zu kaufen. In Dortmund gab es vor allem Fahnen und Tröten.

Die Ultrabewegung hier ist nach meiner Meinung ein bisschen von Italien abgekupfert. Darum ist auch die Frage berechtigt, ob es wirklich was Authentisches ist, was sich da bewegt. Wo ich diese Szene jetzt kulturell einordnen sollte, ob es jetzt neu ist oder eine Jugendbewegung, oder ob es den Status der Subkultur erhalten wird? Ich würde eher zu Letzterem tendieren.

schwatzgelb.de: Es wird in den Medien am liebsten das Bild des prolligen, besoffenen, gröhlenden Fans dargestellt. Glaubst Du, dass die Dortmunder Fanszene in den Medien richtig dargestellt wird?

SCHULZE-MARMELING: Was ich so lese, kommt die Dortmunder Fanszene eigentlich recht gut weg, sie läuft ja auch immer unter dem Lable "Die besten Fans der Liga" Gut, beim nächsten Mal sind es die Pauli-Fans, dann die Schalker. Ich habe aber den Eindruck, dass gerade so im Zuge der ersten Deutschen Meisterschaft die Borussia-Fans schon sehr gut porträtiert worden sind. Es ist ja auch einfach so, dass in vielen Stadien das richtige Leben erst aufkommt, wenn die Dortmunder da sind. Ich lese eigentlich selten schlechte Kommentare über die Fans des BVB.

schwatzgelb.de: Könntest Du Dir vorstellen, daran mitzuarbeiten (z.B. durch entsprechende Buch u. Zeitungsveröffentlichungen), die heutige Fanszene in der Öffentlichkeit richtig darzustellen?


SCHULZE-MARMELING: Im Prinzip schon. Hat mich nur keiner bislang danach gefragt (lacht)

schwatzgelb.de: Planst Du, noch andere Werke über den BVB zu schreiben?

SCHULZE-MARMELING: Ja, aktuell sitze ich an einem BVB-Lexikon. Wobei das jetzt keine so große Herausforderung ist. Das bewegt sich im Rahmen der allgemeinen Vereinslexika des Werkstattverlages. Ich habe mir gesagt, bevor jemand anderes aus meinem Buch plündert, plündere ich es selber. Obwohl schon Sachen drinstehen werden, die in dem jetzigen Buch nicht drin sind. Es wird dicker sein als bislang erschienene Vereinslexika. Ich werde selbstverständlich auch die BVB-Geschichte weiter fortschreiben und ich hoffe, dass wir beim nächsten mal wieder einige neue Triumphe vermelden können, was ja bei der letzten Überarbeitung nicht der Fall war.

ABSTOSS

schwatzgelb.de: Du bist bei Deinem Buch über den FC Bayern 2 1/2 Seiten auf die rechten Fans des deutschen Fußballrekordmeisters eingegangen und hast Dir damit Ärger eingehandelt. Wie siehst Du die rechte Szene in Dortmund?

SCHULZE-MARMELING: Ich hab noch die Jahre der Borussenfront in Erinnerung. Was ich damals als unangenehm empfunden habe war, dass ich mich selber nicht mehr wohlgefühlt habe im eigenen Stadion, wenn sich in Sichtnähe diese Leute so gebärdeten. Ich habe mich bedroht gefühlt. So was hinterfragt die Identifikation mit dem Verein. Ich glaube, jeder der nicht diese politische Meinung vertritt, ist heilfroh, wenn solche Leute nicht präsent sind. Es erleichtert einfach die Identifikation mit dem Verein.

Man fragt sich ja dann automatisch, ob das denn so sein muss? Warum tut der Verein nichts dagegen. Für mich war dann dieses Problem völlig aus dem Stadion verschwunden. Obwohl das zu glauben möglicherweise etwas naiv war, denn gewisse politische Entwicklungen machen vor einem Massenpublikum nicht halt und können sich dann wieder manifestieren.

Was ich auch als unangenehm empfand, war vor einigen Jahren das aufkommende "Sieg-Sieg" Stakkato. Wobei ich glaube, dass viele Leute damit nichts "braunes" assoziiert haben. Ich empfand es einfach als unangenehm. Man soll sich nichts vormachen; in unserer heutigen Gesellschaft ist der Rechtsradikalismus irgendwo überall ein Problem, und das Westfalenstadion wird auch nicht davon ausgenommen bleiben. Wichtig ist die Zivilcourage der Fans.

Ich kann mich noch gut an ein Spiel erinnern, ich glaube gegen die Stuttgarter Kickers war das, als eine Pianistin vor dem Spiel im Innenraum spielte. Diese Aktion hatte Michael Meier ins Leben gerufen, kulturell sehr anspruchsvoll, möglicherweise auch zu anspruchsvoll fürs Publikum. Keiner wusste so recht, was das da unten auf dem Rasen sollte, bis irgendjemand mal auf der Südtribüne rief: "Nazis raus." Das war für alles das klärende Wort: "Ach darum ging es. Das hätte man uns ja auch etwas einfacher vermitteln können!" Und dann fielen alle mit in den Chor ein "Nazis Raus" Das war einer der schönsten Momente, die ich im Stadion erlebt habe (lacht), weil es so spontan kam. Von da aus halte ich es auch für sehr wichtig, dass Fans und Verein bleiben und rechtzeitig einschreiten, wenn rechte Tendenzen wieder eskalieren. Dortmund ist auch eine Stadt, die immer gewisse Probleme mit dem rechten Rand hat. Die Rechten sind immer präsent. Ich kann mich erinnern, in den 70ziger Jahren gab es ständig diese Demonstration von den jungen Nationaldemokraten in Dortmund, die dann auch schon mal von Auseinandersetzungen begleitet waren. Dann hatte man die Sache mit der Borussenfront, mit der FAP. Dieses Problem gibt es in Dortmund. Auch wenn es ein Randproblem ist, es ist halt da. Man sollte es nicht einfach wegleugnen.

schwatzgelb.de: Du hast die Ausführung von Gerd Kolbe über den BVB während der NS-Zeit in Deinem Buch veröffentlicht. Denkst Du, dass jeder Verein seine Geschichte in dieser Zeit so aufarbeiten sollte?

SCHULZE-MARMELING: Es gibt eigentlich keinen Grund, warum man diese Geschichte nicht aufarbeiten sollte. Zumal die Leute, die heute bei den Vereinen in Amt und Würden sind, nichts mehr damit zu tun haben. Von da aus steht einer schonungslosen Aufklärung eigentlich gar nichts im Wege. Es ist doch immer besser, wenn man die dunklen Seiten der eigenen Vereinsgeschichte nicht verschweigt als wenn man später erwischt wird und der Eindruck entsteht, man habe das verleugnen wollen.

Ich persönlich finde es sehr schade, dass bislang nur Borussia Dortmund dazu in der Lage war, sich dieser Geschichte zu stellen. Selbst Vereine, die möglicherweise, was diese Zeit anbelangt, besser dastehen als der FCB, interessiert das ja augenscheinlich nicht. Zum Teil ist das gar keine politische Sache, weshalb man es nicht tut, sondern das interessiert einfach nicht.

Da sitzen heute bei einigen Vereinen Leute im Management, die sind nicht unbedingt "Rechts", ja wahrscheinlich sind die keinen Hauch "Rechts", aber für die beginnt die Geschichte des eignen Vereins erst mit dem Beginn ihrer Tätigkeit in diesem Verein. Oftmals betrifft es dann auch gar nicht die NS-Zeit, sondern auch zurückliegende Erfolge. Von diesen Leuten habe ich schon die erstaunlichsten Fragen gestellt bekommen, wo ich dachte: "Oh Gott, der steht da auf der Lohnliste, der müsste das doch eigentlich viel besser wissen als Du." Von daher haben wir es sicherlich nicht nur mit einer politisch motivierten Abwehr der Aufarbeitung zu tun, sondern sicher auch durch Leute im Verein, die einfach aus einer absoluten Geschichtslosigkeit rekrutiert sind.

schwatzgelb.de: Findest Du, dass der Verein trotz seines enormen Wachstums traditionsbewusst geblieben ist, und woran machst Du Deine Meinung fest?

SCHULZE-MARMELING: Ich glaube, dass die Führung weiß, dass Tradition eine ganz wichtige Waffe für Borussia Dortmund ist. Auch im Kontrast zu dem ein oder anderen Verein. Wenn Niebaum sagt: "Wer seine Geschichte nicht kennt der hat keine Zukunft", dann nehme ich ihm, auch von seiner Biographie her, ab, dass er das ernst meint. Es hat sich ja unter ihm einiges getan, wenn ich jetzt nur mal an den Ältestenrat denke. Ich glaube, die Altgedienten wurden noch nie so vom Verein umsorgt, wie das in der Ära Niebaum der Fall ist.

Man muss auch erkennen, dass dieses Traditionsbewusstsein in einer natürlichen Konkurrenz mit der Entwicklung des Fußballs steht. Heute ist Borussia Dortmund ein börsennotiertes Unternehmen. Da spielt die Tradition auch eine wichtige Rolle, denn der Wert von Borussia wird auch danach bestimmt.

Auch wir als Verlag merken das immer wieder. Darum heißt ja bei uns nicht umsonst eine unser Buchreihen "Deutsche Traditionsvereine". Da scheidet sicher der eine oder andere Verein automatisch aus. Da ist zu einem Borussia Dortmund und - der Verlag und der Autor werden es mir nicht übel nehmen - leider Schalke 04. Das sind die beiden Vereine, bei denen wir wirklich erstaunliche Zahlen erreichen. Solche Vereine haben einfach nicht nur ein viel höheres Einzugsgebiet, sie haben vor allem ein viel bewussteres Publikum. Im Vergleich zu anderen Vereinen hat Borussia Dortmund sehr viele bewusste Fans, die auch selbst in der jüngeren Generation sich für die Geschichte des Vereins interessieren, auch wenn sie das alles nicht miterlebt haben. Die Identität als BVB-Fans speist sich aus der Gewissheit: "Ich bin Fan eines Traditionsvereines." Diese Fans sind auch bereits, solche Wälzer wie unser Buch durchzulesen.

ECKBALL

schwatzgelb.de: Was hältst Du von der Umwandlung des Vereins BVB 09 in eine KGaA? Mit welchen Gefühlen verfolgst Du die Vermarktung des BVB?

SCHULZE-MARMELING: Was die Umwandlung des BVB in ein börsennotiertes Unternehmen anbelangt, so bin ich jetzt nicht davon überzeugt, ob das der Weisheit letzter Schluss war. Das ist so ein Moment, wo ich denke dass die Bayern doch vielleicht etwas klüger agieren. Borussia Dortmund war mit dem Problem konfrontiert, dass sie zu einem Zeitpunkt an die Börse gehen mussten, als diese sich in einem Abwärtstrend befand. Ohnehin gibt es kein wirkliches Beispiel für einen erfolgreichen Börsengänger. Die meisten Börsengänge hatten die Funktion mal kurz "frisches Geld" aufzutreiben. Das wird dann investiert in Stadien, in neue Spieler. Es wird ein gewisser Verkaufswert definiert, für den Verein, mehr passiert da eigentlich nicht. Aber es kann ja gut sein, dass es in Zukunft doch noch etwas heller aussieht.


Was die Vermarktung des Vereins anbelangt, da gibt es einen Aspekt, wo ich denke der Verein könnte mehr machen. Wir haben ja gerade schon den Namen Kolbe erwähnt. Ich war vor einigen Wochen in Manchester, an dem Tag als die englische Nationalmannschaft gegen Schweden spielte. Ich war schon morgens früh um 10:00 Uhr da und habe die Zeit genutzt um das United-Museum zu besichtigen. Das Museum war voll mit Leuten die gar nichts mit diesem Länderspiel zu tun hatten, etwa eine japanische Reisegruppe.

Diese Leute waren nicht wegen des Länderspiels vor Ort, sondern sie besuchten dieses Museum. Das ist eine Konzeption, die ist schon klasse und hat schon ihre Vorteile gegenüber dem, was in Dortmund gemacht wird. Das was in der Nordtribüne untergebracht wurde, ist ja mehr eine Art Ausstattung für diesen Gastronomiebereich. Das gleiche im Megastore, da geht auch alles unter. Der Megastore ist ein Supermarkt, das Museum dort ist Beiwerk und macht den Megastore irgendwie netter. Aber letzten Endes ist es alles nur Ausstattung, Dekoration. Da wünsche ich mir ein Museum, so ähnlich wie in ManU. Eins mit richtigen Öffnungszeiten. Ich kann mir gut vorstellen, dass das wahrgenommen wird, weil diese Kollektion vom Kolbe tatsächlich einmalig und wahnsinnig gut ist. Das wäre für mich erstklassige Vermarktung, wenn der Verein im Westfalenstadion so eine Geschichte machen würde, die dann für die Besucher wirklich die ganze Woche über interessant ist. Vielleicht erfolgt das ja auch im Zuge des weiteren Ausbaus.

EINWURF

schwatzgelb.de: Wenn Du die Wahl hättest zwischen Deiner jetzigen Karriere und einer Karriere als Fußballprofi beim BVB, welche würdest Du wählen?

SCHULZE-MARMELING: Finanziell würde ich die BVB-Karriere vorziehen. (lacht)

STEILPASS

schwatzgelb.de: Wie hältst Du Dich auf dem Laufenden über die Geschehnisse rund um den BVB?

SCHULZE-MARMELING: Als Mitglied bekomme ich die Stadionzeitung zugeschickt. Der Postbote bringt am Wochenende immer zwei Zeitungen. Ich hätte jetzt beinahe gesagt, den Bayernkurier, aber das ist ja was anderes als die Bayernzeitung. Die kriegt mein Sohn, weil er leider (lacht) Bayernfan und Mitglied ist. So lese ich dann Samstagsmorgens meine BVB-Zeitung und danach das Bayernblatt. Dabei stelle ich dann jedes Mal fest, dass die BVB-Zeitung doch besser als die von den Bayern ist. Die Bayern behaupten zwar (wie immer), dass ihr Heft das beste der Liga ist, aber ich weiß nicht, warum. Das soll nicht heißen, dass es schlecht ist, aber das Dortmunder Vereinsblatt ist doch besser.

Dann studiere ich relativ häufig die Dortmunder Presse. Vor allem die Westfälische Rundschau und die Ruhr Nachrichten. Dazu kommen Abos von überregionalen Zeitungen, in denen es auch viele gute Artikel über den BVB gibt. Dann kennt man Leute im Umfeld vom BVB. mit denen man immer wieder über Borussia Dortmund spricht. Außerdem gibt es da ja noch ein wunderbares Internet-Fanzine, das ich jetzt entdeckt habe (lacht).

ABSEITS

schwatzgelb.de: Was macht für Dich beim BVB den Unterschied zu Vereinen wie dem FC Schalke 04 und Bayern München aus?

SCHULZE-MARMELING: Also Schalke hatte für mich immer so ein bisschen den Hauch des unseriösen. Wenn ich dann immer den Herrn Assauer sehe, finde ich, dass er das auch heute noch ganz gut verkörpert, was ich so mit Schalke verbinde.(lacht) Umgekehrt weiß ich natürlich, dass man auch im Schalker Milieu, sogar im Ruhrgebiet insgesamt, die Stadt Dortmund und Borussia Dortmund als ein bisschen arrogant betrachtet. Nicht so wie die Bayern aus München, aber eine gewisse Arroganz wird uns nachgesagt. Wenn man sich die Geschichte von den beiden Städten Gelsenkirchen und Dortmund anguckt, gibt es einfach Unterschiede. Dortmund ist nicht immer nur die Industriestadt gewesen. Dortmund ist, um das mal verkürzt zu sagen, immer etwas besseres gewesen als Gelsenkirchen. Dortmund hatte schon immer einen ganz anderen Status. Auch heute unterscheiden sich die beiden Vereine, wenn man ganz genau hinguckt, beim Publikum wie auch in der Vereinsführung. Da ist mir, ohne das jetzt abwertend den Schalkern gegenüber zu sagen, der BVB näher. Sicher hängt das auch damit zusammen, dass ich im BVB-Milieu aufgewachsen bin und es mir somit einfach näher steht. Ich muss aber auch beichten, dass ich, als die Borussen damals abstiegen waren und die Schalker einen ganz guten Lauf hatten, den Gelsenkirchenern damals im Europapokal gegen Manchester City am Radio die Daumen gedrückt habe. Da hat mich damals schon diese "Ruhrpott, Ruhrpott"-Mentalität ergriffen, die ich ansonsten auch für ein bisschen fragwürdig halte. Doch dann war alles wieder typisch Schalke, denn durch den Bestechungsskandal implodiert alles wieder. Das ist für mich typisch Schalke.

Was Bayern München anbelangt, würde ich generell sagen, dass die Unterschiede zu Dortmund sicherlich nicht mehr so groß sind, wie sie es mal waren. In den 60-ern und 70-ern konnte man ja sagen, dass ein Unterschied darin bestand, dass die Bayern über ein sehr modernes und zukunftorientiertes Management verfügten, das damals schon den Übergang zum Unternehmen betrieb, während die Dortmunder noch der klassische Fußballverein waren, zum Teil liebenswert und dilettantisch. Diesen Unterschied haben wir heute nicht mehr, obwohl ich schon glaube, dass die Bayern immer noch einen Entwicklungsvorsprung haben, an dem die Dortmunder noch etwas knabbern. Die Münchener scheinen in allem ein bisschen stabiler, selbst in Krisenzeiten. Bei den Bayern spielt auch immer noch ein bisschen Bayernkultur mit. München ist als Stadt auch ganz einfach was anderes als Dortmund. Vor allem eine viel entwickeltere Schickimicki- und Boulevard-Szene als in Dortmund sitzt bei den Bayern mit drin.

ELFMETER

schwatzgelb.de: Angenommen, der Springer Verlag schickt Dir einen Scheck über 1 Mio Euro als Darlehen. Was machst Du damit?

SCHULZE-MARMELING: Dann würde ich erst einmal dort nachfragen was ich falsch gemacht habe? (lacht)

FREISTOSS

schwatzgelb.de: 1 Frage, 3 Antworten: Was fasziniert D. Schulze Marmeling am BVB?

SCHULZE-MARMELING:

1) Der wichtigste Punkt ist die eigentliche Biographie des Vereins, und dass Borussia Dortmund für mich viele, viele Jahre ein langer Lebensbegleiter war. Da geht es mir so ein bisschen wie Nick Hornby, dass ich mich an bestimmte Daten im meinem Leben mit Hilfe von Borussia Dortmund erinnere. Dieser Verein war und ist noch heute das Lebensgefühl einer Region, aus der ich komme und an der ich auch heute immer noch hänge. Somit halte ich auch als Münsterländer Bezug zum Ruhrgebiet. Diese Offenheit und oft an Brutalität grenzende Ehrlichkeit, die diese Region auszeichnet, vermisse ich hier manchmal. Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets, und das hat dann manchmal auch zur Folge, dass ich hier schon mal zu arg ins Fettnäpfchen trete, weil ich ehrlich meine Meinung sage, die im Münsterland oft gar nicht gefragt ist.

2) Heute das Publikum im Stadion. Das ist einfach einmalig. Ich bin noch nicht in Gelsenkirchen gewesen, und das wird auch so schnell nicht passieren, aber ich glaube schon, dass es bei uns einmalig ist. Das ist ein reines Fußballstadion, das ist keine multifunktionale Arena. Borussia hat das genau richtig gemacht mit dem Stadion. Auch wenn wir vielleicht subjektiv meinen, dass die Stimmung schon mal besser war, das ist immer noch klasse, das ist immer noch ein Erlebnis, das ist noch immer Leidenschaft.

3) Und beim Dritten, ja da könnte ich an unserem Buchtitel ansetzten. Das dieser Verein doch eine enorme "Stehauf-Fähigkeit" hat. Ich glaube, das macht richtig große Vereine aus. Das nährt auch die Leidenschaft von Fans. Es ist ja relativ einfach, Fan eines Vereins zu sein, wenn man dieses Auf- und Ab nicht kennt. Wo man nie wirklich leidet. Wer Borussia Dortmund-Fan ist, der leidet schon ganz arg. Und nicht nur in der Vergangenheit, was den Abstieg von 72 anbetraf, sondern auch die letzten Jahre. Wenn es zu Weilen schon an Demütigung grenzt. Da gab es Zeiten, wo man ungern den Schalker oder auch Bayern im Bekanntenkreis auf der Straße begegnete, dass hat schon wehgetan. Dieses Leiden gehört auch zum Fandasein, ohne diese Leidensfähigkeit kann man nicht die richtige Enge zu einem Verein entwickeln. Es ist für mich immer wieder nur faszinierend, wie man selbst aus einer gewissen Distanz, die ich heute geographisch bedingt zum BVB habe, noch immer richtig leiden kann, wenn die zwei, drei Spiele hintereinander verloren haben, oder wenn sich ein Neueinkauf wieder als Fehleinkauf entpuppt. Bis es mir richtig schlecht geht.

AUFSTELLUNG

schwatzgelb.de: Wer war oder ist Dein Lieblingsspieler beim BVB und warum?


SCHULZE-MARMELING: In meiner Jugend war es Hans Tillkowski. Ich war ja selber Torwart, und ich weiß noch, wie sehr es mich mitgenommen hat, als der Trainer Murach damals nicht an Tillkowski festhielt, sondern Bernhard Wessels den Vorrang gab. Richtig deprimiert war ich dann, als Tillkowski nach Eintracht Frankfurt ging. All das hing aber auch ganz stark mit der Zeit zusammen, in der ich BVB-Fan wurde: 65/66 Europapokal der Pokalsieger, Deutschland Vizeweltmeister, alles mit Tillkowski im Tor. Wenn ich die jüngeren Zeiten nehme, gab es einige Spieler, an die ich mich total gern erinnere. Da ist zuerst Manni Burgsmüller, selbstredend mit seiner Schlitzohrigkeit, auch so ein Typ des Ruhrgebiets. An Raducanu erinnere ich mich auch sehr gerne. Natürlich nicht zu vergessen Zoltan Varga, den habe ich damals als absolut genial empfunden. Das war schon ein ganz toller Spieler und unheimlich beliebt in Dortmund, obwohl er ja gar nicht so lange beim BVB gespielt hat. Dazu gibt es auch noch eine schöne kleine Geschichte. Ich hatte einen Bekannten in Kamen, der hatte damals einen kleinen schwarzen Pudel, den er nach Zoltan Varga benannt hatte. Wenn der in der Kamener Fußgängerzone ausriss und der Freund schrie dann nach Varga, drehte sich alles um, weil die Leute meinten, da ruft einer nach Zoltan, aber es war ja nur ein kleiner schwarzer Pudel.

Was die jüngere Zeit, ab den 90-ern, anbelangt, da habe ich es sehr bedauert, dass Stefan Klos ging. Meines Erachtens ist Stefan ein sehr, sehr guter Torwart gewesen. Es gab kaum einen in der Liga, der das Rückpass-Spiel so gut beherrschte, wie er. Wer noch? Chapuisat selbstredend. Ich habe noch nie so einen abgezockten Stürmer gesehen. Der fehlt heute bitterlich, so ein Klassemann ist schwer zu ersetzen. Für mich ist der Schweizer einer der besten Einkäufe der Vereinsgeschichte. Aktuell gehe ich konform mit denjenigen die sagen: "Der kleine Tscheche ist es." Das ist schon ein genialer Fußballer. Was der da macht ist manchmal schon herrlich mit anzusehen. Bei solchen Spielern muss man es auch schon mal durchgehen lassen, wenn sie zwei Drittel des Spiels so mehr oder weniger verschlafen. Er ist noch jung und kann noch nicht laufend Topleistungen bringen. Ich hoffe sehr, dass Tomas möglichst lange in Dortmund bleibt. Seit langer Zeit ist endlich wieder erkennbar, dass da eine neue Mannschaft heranwächst. Das kann in ein bis zwei Jahren wieder ein Topteam sein und das dann auch über einen längeren Zeitraum.

schwatzgelb.de: Welchen Spieler würdest Du gerne einmal im Dress des BVB spielen sehen?

SCHULZE-MARMELING: Nun, auch wenn es jetzt einen Aufschrei gibt, das wäre für mich ganz klar Oliver Kahn. Weil er ein Spieler ist, der immer heiß ist. Ich denke er ist ein Typ wie Sammer, einer mit der richtigen Siegermentalität, immer dieses Selbstkritische und nie Zufriedene. So etwas ist ganz wichtig im Profileben. Die Bayern haben in meinen Augen die letzte deutsche Meisterschaft Kahn zu verdanken. Er holte nach der Hamburger 1:0 Führung den Ball aus dem Netz und trieb die bereits resignierenden Mitspieler nach vorne. Aber Kahn und der BVB, dass wird wohl nichts werden, und das ist auch gut so. Jens Lehmann wird wohl bleiben, und die Neuverpflichtung von Roman Weidenfelder war gar nicht so falsch. Einen hätte ich aber noch gerne, den Bruder von Christoph Metzelder, Malte, den will ich noch haben (lacht).

Dietrich Schulze-Marmelings „AllStars-Team“


Tor:

Klos

Abwehr:

Kohler Reuter Cesar Sammer

Mittelfeld:

Ricken Zoltan Varga Zorc Rosicky

Sturm:

Chapuisat Emmerich


ABPFIFF

schwatzgelb.de: Was wünscht sich D. Schulze Marmeling für die Zukunft, bezogen auf Borussia Dortmund?

SCHULZE-MARMELING: Viele Titel (lacht) aber auch nicht jedes Jahr, dann ist es zu langweilig. Ein Wunsch wäre noch, dass Spieler wieder verstärkt aus der Region, es darf auch das Münsterland sein, bei Borussia Dortmund den Durchbruch schaffen. Es ist immer ganz wichtig, solche Leute im Team zu haben. Die Mannschaft muss nicht aus 11 Eigengewächsen bestehen, um Gottes willen, aber in den Meisterschaftsjahren war es ja auch ganz nett, als mit Zorc, Ricken und Klos drei gebürtige Dortmunder im Team standen.

schwatzgelb.de: Wir danken für das Gespräch

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