Im Gespräch mit...

Ein Jahr nach dem Kriegsbeginn - wie geht es den BVB Fans?

27.03.2023, 15:30 Uhr von:  Ferdinand
Der BVB absolviert ein Benefizspiel gegen Dynamo Kyiv. Auf den Werbebanden steht "Stop War" und "#StandwithUkraine"
BVB setzt sich gegen den Krieg in der Ukraine ein

Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir ein Interview mit zwei BVB Fans aus Kyiv und Moskau geführt. Nach einem Jahr haben wir die beiden erneut getroffen und ihnen ein paar Fragen zu den Entwicklungen in den vergangenen 12 Monaten gestellt.

Im letzten Interview haben wir uns gemeinsam mit den beiden Interviewpartnern entschieden, dass die beiden Fans anonym bleiben. Für Igor aus Russland ist es weiterhin so, dass sein Name nicht veröffentlicht werden soll, weil die Menschen in Russland, die sich gegen den Krieg aussprechen, Haftstrafen bekommen können. Oleg, der in Wirklichkeit Alexander heißt, kann und möchte sich nicht mehr verstecken. Während er im März 2022 noch nicht wusste, wie es mit seinem Leben weitergeht, seine Familie in Berlin war und die russische Armee gar nicht so weit weg von Kyiv, ist er jetzt zuversichtlicher, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen könnte und weder er noch seine Familie gefährdet sind.

Wir haben den beiden ein paar Fragen gestellt.

Wie geht es dir und deiner Familie?

Alexander: Erstmal Hallo zusammen. Vielen Dank für die Nachfrage. Als erstes muss ich erzählen, dass meine Familie im August nach Kyiv zurückgekehrt ist. Wir wohnen dort jetzt alle zusammen in unserem Haus. Tja, uns geht es so gut, wie es einem während des Krieges gehen kann. Es ist klar, dass wir ganz viele Probleme/Schwierigkeiten haben, z.B. durch regelmäßige Raketen- oder Drohnenangriffe in der Stadt. Die Inflation im Land ist sehr hoch, aber das kann man überleben. Schulen und Kindergärten sind ganz normal geöffnet, während des Luftalarmes werden die Kinder in den Luftschutzbunker geführt. Wenn man die ersten Monate des Krieges außer Acht lässt, als die russische Armee vor Kyiv stand, waren vor allem die Monate Oktober, November und Dezember sehr schwierig, weil es kaum Strom gab und die Heizungen nicht funktionierten. Dazu kam natürlich die Inflation.

Igor: Mir geht es eigentlich gut.

Alexander, seine Frau und beide Töchter stehen in einem Restaurant vor einem Kamin. Es ist die Geburtstagsfeier von einer von den Töchtern. Die Mutter hält die kleine Tochter auf dem Arm.
Alexander und seine Familie auf der Geburtstagsfeier

Was hat sich bei dir in den letzten 12 Monaten geändert? Welche Folgen hat dir der Krieg gebracht?

Igor: Also wenn man es objektiv sieht, hat sich hier in der Großstadt wenig bis gar nichts geändert. Ja, einige Sachen sind deutlich teurer geworden, einige kann man gar nicht mehr kaufen, man kann nicht mehr überall hinreisen. Aber insgesamt waren es keine lebensnotwendigen Dinge, die man unbedingt braucht, deswegen stört es nicht unbedingt groß. Hier bei uns, im Gegensatz zu den Grenzregionen, bekommt man vom Krieg wenig mit. Wenn man den Fernseher ausgeschaltet lassen würde, würde man nicht mal mitbekommen, dass es einen Krieg gibt. Aber das trifft natürlich nur auf die zu, deren Verwandte und Bekannte nicht am Krieg teilnehmen.

Alexander: Änderung der Weltanschauung. Du freust dich über irgendwelche Kleinigkeiten, die man in einem normalen Leben gar nicht merken würde. Wir leben immer mehr von Tag zu Tag. Das Denken hat sich auch stark verändert.
Die Folgen? In der ersten Linie leidet die Psyche. Ich habe Mal irgendwo gelesen, dass wir die Folgen des Krieges erst viel später spüren werden. Aber bisher fühle ich mich OK. Ich träume oft von Flugzeugen, Raketen und Explosionen. Ab und zu wache ich von einer Explosion auf und stelle fest, dass es nur ein Traum war.

In Deutschland gibt es Leute, die der Meinung sind, dass die Ukraine keine Waffen mehr erhalten und man über ein mögliches Kriegsende verhandeln soll. Auch wenn es eine sehr politische Frage ist, was sagt man bei euch darüber? Wie denkst du darüber?

Alexander: Als erstes muss man eigentlich die Wahrheit erkennen bzw. anmerken, dass die Ukraine sich ausschließlich verteidigt und nicht angreift. Putin spricht dem ukrainischen Volk sein Existenzrecht ab und das hat er schon mehrmals betont. Russland wird von Schurken regiert und es ist klar, dass man sich mit der Ukraine nicht zufrieden geben würde und weitere Länder angreifen könnte. Im russischen Fernsehen wird immer wieder gefordert, dass Polen und Deutschland mit Raketen angegriffen werden sollen. Die Ukraine verteidigt nicht nur sich alleine, sondern auch Deutschland und Europa. In der Ukraine ist man Deutschland für die Waffen, die Ausrüstung und vor allem die humanitäre Hilfe sehr dankbar. Und dann muss man noch hinzufügen, dass Deutschland und die Menschen dort eine enorme Hilfe für die Geflüchtete leisten. Vielen Dank dafür!

Igor: Ich musste lange überlegen, wie ich diese politische Frage beantworte. Meiner Meinung nach, kann es unmöglich sein, dass in diesem Krieg das in Russland etablierte Regime gewinnt – dies wäre unter anderem ein gefährlicher Präzedenzfall, der zeigt, dass ein Land, das über eine große militärische Macht verfügt, sich alles erlauben kann und nach seinem Willen tausende Menschen ermorden oder sich, was man will, einverleiben bzw. annektieren kann.
Es gibt immer noch viele, die mit dem Krieg nicht einverstanden sind. Aber die Strafverfolgungen sind im vollen Gange. Es ist ja nicht nur so, dass man nicht mehr mit einem Protest auf die Straße gehen kann. Ein falscher „Like“ in den sozialen Medien kann dir schon eine Geld- oder sogar Gefängnisstrafe bringen. Deswegen haben viele, die konnten, das Land verlassen. Die anderen haben keine andere Wahl als die Meinung/Kritik geheim zu halten.

Im Sommer 2022 hat der BVB rund 1600 Pakete mit den Lebensmitteln gespendet. Die BVB Fans und Geflüchtete aus der Ukraine haben die Pakete gemeinsam im Westfalenstadion (im Parkhaus) zusammengestellt.
Die BVB-Sammelaktion für die Ukraine

Gab es in den letzten 12 Monaten irgendetwas Positives?

Igor: Wenn, dann waren es persönliche Momente. Ich habe eine neue Arbeit und bin innerhalb der Stadt umgezogen.

Alexander: Als Erstes (und das ist das Wichtigste) bin ich mit meiner Familie wieder vereint. Es ist sehr kompliziert nicht zu wissen, wann du deine Familie wiedersehen kannst und ob du es überhaupt irgendwann dazu kommt. Als ich meine Frau und die Kinder in aller Eile ins Ausland „geschickt“ habe, habe ich sie nicht umarmt und hatte danach Angst bzw. machte mir Sorgen, dass ich die nie wiedersehen würde, dass es meine letzte Möglichkeit war sie zu umarmen. Das war ein sehr unangenehmes Gefühl. Das Wiedersehen, die Wiedervereinigung mit meiner Familie machte mich zum glücklichsten Mensch auf dieser Welt. Außerdem mache ich weiterhin meine Ausbildung zum Fußballtrainer, die ich in diesem Jahr absolvieren werde. Mein Traum ist es eine Mannschaft in Deutschland zu trainieren. Ich mag die Bundesliga und vor allem natürlich unsere Borussia ;)

Igor, machst du dir Gedanken darüber Russland zu verlassen?

Igor: Ich mache mir schon häufiger Gedanken darüber das Land zu verlassen. Eigentlich gibt es keine Gründe, die mich hier aufhalten würden. Ist es einfach das in die Tat umzusetzen? Eigentlich wäre es gar nicht so kompliziert, wenn man in eines der ehemaligen sowjetischen Länder oder Asien gehen würde. Aber auch dort muss man erst eine Arbeit finden (Anm. der Redaktion: Igor ist ITler im Bereich der Informationssicherheit). Nach Europa oder in die USA zu gehen, wäre deutlich schwieriger, falls es überhaupt möglich wäre. Wenn in Russland eine neue Einberufungswelle startet und man darunterfällt, dann wird es ja noch schlimmer sein.

Kannst du die BVB-Spiele schauen und wenn ja, wie oft?

Alexander: Ich schaue immer. Verpasse kein Spiel. Seit Sommer habe ich bisher nur ein Spiel verpasst, als es keinen Strom gab, wobei das nicht mehr vorkommt. Letztes saßen wir ohne Strom als der BVB gegen Bremen spielte, aber mit dem mobilen Internet konnte ich das Spiel trotzdem schauen.

Igor: Früher habe ich kein Spiel verpasst, aber jetzt schaue ich relativ selten. Die Spiele laufen bei uns immer noch im Kabelfernsehen. Aber ich habe irgendwie weder Lust die Spiele selbst noch eine Motivation diese zu schauen.

Was denkst du über die Leistung von unserer Borussia, insbesondere im aktuellen Jahr?

Igor: Die Spielergebnisse sind natürlich sehr erfreulich, vor allem in letzter Zeit. Ich hoffe, dass die Balance zwischen den jungen Spielern und unseren Legenden, den älteren Spielern, beibehalten wird und sie noch länger zusammenspielen.

Alexander: Man sieht mittlerweile eine positive Entwicklung. Zum Beispiel hat die Mannschaft aufgehört in den ersten Minuten viele Gegentore zu kassieren. Das ist sehr erfreulich. Es gibt eine gewisse Balance im Spiel. Also, dass man viel mehr aufs Verteidigen, Angreifen und auf die Standardsituation achtet. Aber vieles muss noch verbessert werden. Meiner Meinung nach könnte man den Ball viel schneller an den Mitspieler abspielen. Das sieht z.B. bei den Bayern viel besser aus. Vor allem würde ich die bessere Chancenverwertung auf die erste Stelle stellen. So könnte man viele knappe Spiele wie z.B. gegen Hoffenheim (Anm. der Redaktion: das Interview wurde kurz vor dem Rückspiel gegen Chelsea geführt) vermeiden, wenn man viel konzentrierter/ruhiger vor dem Tor oder dem letzten Pass wäre.
Mateu Morey sollte meiner Meinung nach im Mittelfeld spielen. Dank seinen Qualitäten, wie das Können unter Druck zu spielen, guter Pass und Schuss, Bewegung mit dem Ball – wäre er ein guter Spieler fürs Mittelfeld. Ich würde ihn da gerne sehen und er ist definitiv nicht schlechter als Mo Dahoud. Man muss kein Geld für einen neuen Spieler ausgeben, wenn man eine „kostenlose“ Lösung schon im Verein hat. Die Frage ist natürlich, ob Morey nach seiner Verletzung zurückkommt.

Was wäre für unsere Borussia in dieser Saison noch möglich?

Alexander: das weiß ich nicht. Vor jeder Saison glaube ich daran, dass wir Meister werden und die Champions League gewinnen können. Einige würden mir sagen, dass ich naiv bin. Aber wenn wir nicht an uns glauben, warum soll dann die Mannschaft aufs Feld kommen? Warum machen wir die Tribünen voll? Der Sieg beginnt im Kopf.

Igor: Über die Tabellensituation freue ich mich sehr, aber es ist noch sehr knapp und wird sich in der nächsten Zeit wohl entscheiden.Ich habe immer noch die Befürchtung, dass wir den knappen Vorsprung gegen schwächere Gegner, wie im Derby verspielen können. Ich hoffe, dass es mit dem lang ersehnten Meisterschaftstitel endlich klappt und denke, dass alle Fans daran glauben.

Alexander steht vor dem Olympiastadion in Kyiv im BVB-Trikot mit den Unterschriften
Alexander im BVB Trikot

Alexander: Eine Sache möchte ich noch ergänzen. Vielen Dank an die Borussia und deren Fans für die Hilfe an die Ukraine, dass wir in solchen schwierigen Zeiten von euch unterstützt werden. Und vor allem Dankeschön für das Trikot mit den Unterschriften (Anm. der Redaktion: kurz nach dem ersten Interview kam das BVB-Sondertrikot mit der ukrainischen Fahne raus. Wir haben beim BVB angefragt, ob es die Möglichkeit gibt, Alexander ein solches Trikot mit den Unterschriften zu besorgen. Dank der Abteilung Corporate Responsibility des BVB hat es funktioniert und wir haben dann das Trikot der Frau von Alexander in Berlin übergeben können). Ich habe erst ein Foto vom Trikot erhalten, habe mich schon sehr gefreut und konnte erst nicht glauben, dass es für mich ist. Bin dann den ganzen Tag mit einem Lächeln durch die Stadt gelaufen. Ich weiß gar nicht, was andere Menschen über mich gedacht haben (lacht). Ich habe mir dann das Trikot auf dem Foto genauer angeschaut und habe versucht rauszufinden, von welchen Spielern die Autogramme sind. Eine Unterschrift sieht meiner sehr ähnlich aus.
Zum zweiten Mal habe ich mich gefreut, als meine Frau aus Berlin wieder zurück gekommen ist. Als sie dann abends angefangen hat die Sachen auszupacken, gab sie mir das Trikot. Ich war hocherfreut! Ich habe jetzt ein Trikot meiner Lieblingsmannschaft, mit der ich groß geworden bin, wegen der ich oft sehr nervös war und nach den Niederlagen schlechte Laune hatte und die in mir nach den Siegen einen Sturm von Emotionen auslöste. Geil! Habe dann von meiner Frau noch weitere BVB Klamotten bekommen.
Noch Mal vielen Dank an alle Boruss:innen. Es zeigt mir, dass wir alle eine große schwarz-gelbe Familie sind, unabhängig von der Entfernung und dem Land. Das ist sehr angenehm.
Und unsere Mannschaft soll einfach an sich selbst glauben. Nichts ist unmöglich.

Ich liebe euch alle! Ihr seid die Besten!

Ich danke euch beiden für das Interview!

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