Wer übernimmt eigentlich Verantwortung?

Sascha - 04.04.2021, 12:40 Uhr

Noch ist eine erneute Qualifikation zur Champions-League nicht ausgeschlossen - nur sehr unwahrscheinlich. Der worst case angesichts der in den Kader investierten Summen. Dennoch wird die Frage, wer für diesen Misserfolg die Verantwortung übernehmen muss, nicht gestellt.

Natürlich, die Saison ist noch nicht vorbei und schon am nächsten Spieltag könnte der BVB wieder zumindest auf die Schlagdistanz von vier Punkten an Eintracht Frankfurt und somit an die Königsklasse heranrücken. Allerdings lässt vor allem die zweite Halbzeit im so propagierten Endspiel massive Zweifel am Gelingen einer Aufholjagd aufkommen. Eine Struktur, eine Spielidee war maximal rudimentär erkennbar, das Bemühen der Spieler mit „ausbaufähig“ noch freundlich beschrieben. Am Ende der Saison wird man vermutlich etwas geschafft haben, was man zu Beginn der Spielzeit noch für fast undenkbar gehalten hat: mit dem zweitteuersten Kader der Liga einen Platz zu verpassen, der für einen erneuten Start in der Champions-League qualifiziert. Da darf man auch gerne einmal die Frage stellen, wer für diesen Misserfolg eigentlich die Verantwortung übernimmt.

Die Standardantwort im Fußball hat man natürlich schon längst gefunden: der Trainer. Lucien Favre wurde bereits im Herbst entlassen, Interimstrainer Edin Terzic wird nach Saisonende wieder ins zweite Glied zurück rücken, oder den Verein ganz verlassen. Beide haben es aber sicherlich nicht zu verantworten, dass ein Team, das vor zehn Jahren noch überragend als Kollektiv funktionierte, sukzessive zu einem immer inhomogeneren, dafür aber sündhaft teuren Haufen Individualisten mit mehr oder weniger großen Namen transformiert wurde. Dabei wurden neben geschaffenen Werten, sprich Rekordablösesummen für Kicker wie Ousmane Dembélé, Pierre-Emerick Aubameyang und kurzfristig wohl auch Erling Haaland und Jadon Sancho auch enorme Geldbeträge in den Teich gesetzt. Allein die Transfers von Mario Götze, André Schürrle und Julian Brandt dürfen, wenn man Ablösen, Handgelder und Gehälter zusammenrechnet, irgendwas zwischen 130 und 150 Millionen Euro gekostet haben. Gerade bei den Verpflichtungen von etablierten Spielern weist das Arbeitszeugnis für die handelnden Personen schon seit einigen Jahren ein „mangelhaft“ aus.

Nur zwei von mehreren millionenschweren Fehlinvestitionen: Mario Götze und Andre Schürrle

Die Entscheider bestimmen über ihre Vertragslaufzeiten selber

Aus diesem Grunde erstaunt es schon ein wenig, dass sich die Entscheidungsträger in der Borussia Dortmund GmbH & Co. KgaA anscheinend sicher sein können, vor kritischen Fragen intern gefeit zu sein. Dabei ist es eigentlich nichts ehrenrühriges, wenn man nach etlichen Jahren zumindest darüber nachdenkt, ob neue Impulse auf den Führungspositionen sinnvoll sind. Stattdessen machte es bei der jüngsten Vertragsverlängerung von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke den Eindruck, als ob jede Überlegung hinsichtlich eines Nachfolgers sofort vom Tisch war, sobald er sich nur selber dazu entschieden hatte, den Posten weiter zu bekleiden. Vermutlich wäre auch der Posten den Sportdirektors nicht neu besetzt worden, wenn Vereinsikone Michael Zorc nicht selber und für sich entschieden hätte, dass es Zeit für einen Rückzug ins Private ist. Die Nachfolgeregelung ist dann irgendwo auch borussiatypisch dynastisch. Sebastian Kehl wird dieses Amt übernehmen – anscheinend unbeachtet der Tatsache, dass er als Leiter der Lizenzspielerabteilung ebenso einen Anteil am Ist-Zustand hat.

Dabei haben alle drei natürlich unbestritten ihre enormen Verdienste um den Verein. Hans-Joachim Watzkes Arbeit in den Jahren ab 2005 bis 2013 stellt ihn in der Vereinsgeschichte sicherlich auf eine Stufe mit den Gründervätern des Vereins, Michael Zorc als Eigengewächs, Kapitän und Sportdirektor mit 40-jähriger Dienstzeit ist der Prototyp einer Vereinsikone und auch Sebastian Kehl hat seinen besonderen Platz in der Vereinshistorie gefunden. Dass man dort mit Kritik und Forderungen nach Konsequenzen extrem sparsam umgeht, ist nur natürlich und auch richtig. Gleichzeitig ist es aber so, dass die wirtschaftliche Seite von Borussia Dortmund immer weiter in den Vordergrund gestellt wird. Man redet von Märkten, die erschlossen werden wollen, von Umsatzpotenzialen und auch von wirtschaftlichen Zwängen, die immer neue bittere Pillen für die Fans leider unumgänglich machen. Dann gehört dazu aber auch das komplette Paket und eine permanente Leistungsüberprüfung der handelnden Personen. Handeln wollen wie ein Weltkonzern und eine Postenverteilung auf Lebenszeit aufgrund von Verdiensten in der Vergangenheit wie bei einem lokalen Amateurverein ist dann auch unlauteres Cherrypicking.

Sportdirektor Michael Zorc und sein Nachfolger Sebastian Kehl

Es existiert kein leistungsförderndes Klima

So bar jeder Konsequenz, wie die missratene Saison an der Chefetage vorbeilaufen wird, werden auch die Hauptverdiener des Konzerns bleiben. Das Tafelsilber wird vermutlich zu anderen Vereinen wechseln und sowohl sich selbst, als auch dem BVB eine ganze Menge Geld in die Taschen spülen. Aber selbst die Riege der absoluten Lowestperformer um Nico Schulz, Marco Reus, Julian Brandt oder Thomas Meunier wird sich ziemlich schadlos halten – von ausbleibenden Prämienzahlungen für die Qualifikation zur Champions-League mal abgesehen. Sicherlich wird man etlichen Spieler aus dem aktuellen Kader nahelegen, sich einen neuen Verein zu suchen, sie befinden sich dennoch in einer komfortablen Lage. Das schlimmste, was ihnen passieren kann, ist eine weitere Saison in Schwarz und Gelb mit Gehältern jenseits der Grenze zum Irrsinn. Jeder weiß, dass der BVB gar keine andere Möglichkeit hat, als diesen Kickern weiterhin eine Rolle innerhalb der Mannschaft und neue Bewährungschancen zu geben, weil er es sich nicht leisten kann, die Marktwerte noch weiter in den Keller rauschen zu lassen.

Nach Abpfiff des letzten Saisonspiels wird man vermutlich sowohl auf dem Platz, als auch auf der Tribüne viele trübsinnige Gesichter sehen, in denen man die Frage ablesen kann, wie das alles nur so schief gehen konnte. Man wollte die Bayern angreifen und war sich sicher, dass ein Platz unter den ersten vier Teams ein ziemlicher Selbstläufer ist. Die Frage nach der Verantwortlichkeit und nach Konsequenzen wird dabei aber nur maximal am Rande gestreift. Und noch weniger wird die Frage gestellt, ob erfolgreiches Arbeiten in einem plüschig bequemen Arbeitsumfeld wie bei Borussia Dortmund überhaupt möglich ist. Natürlich, es besteht Druck. Druck durch die Fans, Druck durch die Medien. Druck von Außen. Druck von Innen scheint aber fast vollständig zu fehlen und Fehlleistungen bleiben ohne Folgen. Genau das Gegenteil eines leistungsfördernden Arbeitsklimas, zu dem ein Einfordern von Leistung eben auch zu einem gewissen Teil gehört.


Vielleicht ist das ein Felsblock, den man mal umdrehen sollte, bevor man sich auf wie gehabt auf die darum herum liegenden kleinen Steine konzentriert.