Warmlaufen

Guten Abend Red Bull, gute Nacht Fußball

08.03.2018, 10:27 Uhr von:  Redaktion
Statt des üblichen Vorberichts, veröffentlichen wir einen Text von unserem ehemaligen Redakteur Jens aus dem Jahr 2005.

Seit den 70er Jahren werden die Vereinsnamen gerne durch einen Sponsor ergänzt, den Vereinen ist es eine willkommene Zusatzeinnahme und richtig gewehrt hat sich dagegen nie jemand. Einzig der größte und traditionsreichste Klub Österreichs, der SK Rapid Wien, hat diesen Fehler nie begangen. Wahrscheinlich hat er auch deswegen noch immer die größte Fanmasse des Landes.

Nun also Austria Salzburg, einer von nur 3 österreichischen Vereinen, der jemals ein europäisches Finale erreichte (UEFA-Cup 1994). Mit knapp 11 Mio. EUR war dieser Verein inzwischen verschuldet, stützte sich immer auf eine große, treue Anhängerschar und besitzt mit dem EM-Stadion im Stadtteil Walz ebenfalls gute Perspektiven. Austrias Fanszene galt – was Kreativität und Gesangsstärke angeht – als zweite Macht im Land, Rapid bleibt unerreicht. Bei allen Namensverkäufen der vergangenen Jahre (SV Wüstenrot Salzburg, Casino Salzburg etc.) waren immer die violett-weißen Vereinsfarben erhalten geblieben und erst Recht die Tradition. 1933 gegründet, 3facher österreichischer Meister, 1989 triumphale Rückkehr ins Oberhaus und wenig später der Einzug ins UEFA-Cup-Finale.

Und nun? Nun kommt Dietrich Matteschitz, seines Zeichens Erfinder des Gummibärensafts „Red Bull“, der angeblich Flügel verleiht und schlicht scheiße schmeckt – dafür aber irrsinnig cool und vor allem trendy ist. Herr M. legt Geld auf den Tisch, viel Geld. Dafür übernimmt er den Verein, widerstandslos. Denn er verspricht, die Vereinsfarben beizubehalten. Die Generalversammlung des SV Austria stimmt der „Übernahme“ dann schnell zu. Hierzu ist eine Besonderheit sicher nicht unwichtig. Anders als in deutschen Vereinen üblich, gibt es in Österreich außerordentliche Mitglieder ohne jegliches Stimmrecht und eine handverlesene Auswahl ordentlicher Mitglieder. Diese knapp 50 Personen stimmten ab und übergaben Matteschitz den Verein auf dem Silbertablett. Herr Matteschitz brachte natürlich seinen Freund, Franz Beckenbauer, mit. Beckenbauer ist immer dabei, wenn es um Öffentlichkeit und Kohle geht, aber klar, er ist ja der Kaiser.

Was dann passiert, lässt wohl vielen Fans das Blut in den Adern gefrieren. Nach dem Handstreich wird der Verein umbenannt, Red Bull Salzburg ist sein neuer Name. Neuer Name für den alten Klub? Nein, das geht natürlich nicht, nicht bei einer so jugendlich-trendigen Marke wie Red Bull. Der Verein erhält ein neues Gründungsdatum, 2005 ist er nun gegründet. Und die Austria? Die hat mit diesem Moment aufgehört, zu existieren, von der Homepage verschwanden jegliche Anzeichen von Tradition, das Vereinswappen ist nun mehr oder minder deckungsgleich mit dem Wappen des Getränkekonzerns. Das Stadion erhält Red Bull-Graffitis, die Schals, Mützen – alles wird auf Red Bull getrimmt.

Nun sollte man meinen, die Fans von Austria Salzburg würden kollektiv ausflippen und der neuen Vereinsführung den Stinkefinger zeigen. Tradition und Identität verscherbelt und den Verein zu einem reinen Marketinginstrument degradiert. Die mit jeder Dauerkarte käuflich erworbenen Trikots von Red Bull würden doch sicher von 90% der Fans erbost zurück geschickt. Doch weit gefehlt, dem gemeinen Salzburger Fußballkonsument ist es schlicht scheißegal, wie der Verein heißt, in welchen Farben er spielt oder ob er sich für einen Konzern zum Objekt machen lässt. Er will Erstligafußball sehen, vollkommen egal zu welchem Preis. Und er will sich dabei nicht stören lassen, nicht von diesen Ewiggestrigen, die noch so etwas wie echte Liebe und Hingabe zu ihrem Verein kennen. Dabei vergessen sie so einiges, nicht nur ihre alten Farben, die sie eigentlich im Herzen hätten tragen sollen, sondern auch noch ihre Kinderstube. Aber kommen wir zurück zum Anfang. Vor einigen Tagen hatten sich 3 BVB-Fans entschlossen, dieses Spektakel in Salzburg einmal näher zu beobachten, um dann auch an dieser Stelle darüber berichten zu können. Nachdem üblichen hin und her, Absage, Zusage etc.pp. ging es dann bereits am Freitag gen Österreich. Dort wartete das totale Kontrastprogramm.

Am Freitagabend sahen wir uns die zweite Liga an, der Linzer ASK spielte als einer der Aufstiegsfavoriten (Linz ist immerhin drittgrößte Stadt in AUT) gegen den Aufsteiger und Tabellenletzten SC Schwanenstadt. Es war das schlechteste Fußballspiel, das ich je gesehen habe, selbst Kreisligaspiele haben mich schon mehr in den Bann gezogen als dieser Grottenkick. 0:0 endete das Spiel und immerhin hatten wir ein hübsches Stadion zu Gesicht bekommen, in dem sich die 3.500 Zuschauer allerdings etwas verliefen.

Samstag dann nach Salzburg, kurze Fahrt und ein kleiner Stadtbummel. Bereits gegen 16:30 Uhr trafen wir am Stadion ein, um noch irgendwie Karten zu bekommen. Leider sah es eine ganze Zeit wirklich mies aus, aber am Ende bekamen wir doch noch ganz locker Karten zu normalen Preisen (1 bzw. 2 EUR über Normalpreis).

Vor dem Stadion hatten wir Zeit, einiges zu beobachten. Das Stadion selbst erinnert in seiner Bauweise an alles Mögliche, aber eher nicht an ein Stadion. Dazu wummerte von innen die ganze Zeit irrsinnig laute Technomusik und die Scheinwerfer leuchteten dazu im Takt auf. Passend dazu wurden draußen Ohrstöpsel verteilt. Das größte Fangeschenk ist aber ein weißes Tuch mit Red Bull-Aufdruck. Dieses – so erfährt der Eventourist auf der beiliegenden Erklärung – solle man im Stadion verwenden, um Stimmung zu erzeugen. Wie in spanischen Stierkampfarenen mit lautem „Olé“ über dem Kopf schwenken, wenn auf dem Platz etwas Positives passiert. Um es vorweg zu nehmen, das klappte natürlich überhaupt nicht. Den sicherlich gut verdienenden Marketingexperten sollte man vielleicht noch den Unterschied zwischen Fußball und sonstigen „Events“ erklären, es ist eben doch keine Trendsportart, zum Glück. Um dem neuen Fan zu helfen hat man übrigens im Stadion ein paar Menschen verteilt, die wie die berühmten Stierläufer von Pamplona verkleidet sind, ganz in weiß und rote Tücher umgebunden. Was das mit Fußball zu tun hat? Natürlich nichts.

Es kommt aber noch besser, am Eingang rannten dann Leute mit Körben herum und verschenkten Ohrstöpsel, da es im Stadion zu Lärmbelästigung kommen könnte. Unglaublich? Nicht in Salzburg. Vor der Südtribüne sammelten sich nun nach und nach die violetten Fans, also die Fans, die sich noch wehren. Wir kamen mit Leuten der TGS und Ultrá Union ins Gespräch und erfuhren noch das eine oder andere bis dato unbekannte Detail. So hatten die Rapid-Fans bereits angekündigt, bei diesem Spiel voll Partei für violett zu ergreifen. Sie machten sich also im Grunde für den Erzfeind stark. Wir erfuhren hier übrigens auch, dass Teile der DFB-Führung beim ersten Heimspiel zu Besuch waren. Anschauungsunterricht, wie man sich ein Publikum heranzüchtet oder zumindest domestiziert?

Vor einigen Tagen waren übrigens knapp 60 Hausverbote an verschiedene Fans gegangen, deren Namen bei Red Bull bekannt waren. Darunter auch die Mutter eines Fans, die überhaupt nicht zum Fußball geht, oder andere, die in der ganzen Saison noch kein Spiel gesehen hatten. Ein anderer Teil der Betroffenen befand sich größtenteils am Südeingang, würden aber später dann in eine Kneipe abwandern müssen. Draußen gab es Infomaterial und schon die ersten ignoranten Kommentare von Leuten, denen ihr Verein am Arsch vorbeigeht. Beim Betreten des Stadions wurden dann die „Violetten“ besonders durchsucht, jede kleine Schwenkfahne musste ausgerollt werden und wurde begutachtet.

Nach einigen, teils längeren Gesprächen mit Mitgliedern der Initiative weiß-violett betraten auch wir das Stadion, verzeihung, die Großraumdisko oder Eventhalle. Überall quietschbunte Red Bull-Graffiti, grelle Scheinwerfer, die in allen möglichen Farben leuchteten und ein bis zum Spielende nicht anhalten wollender Strom aus den Nebelmaschinen. Die Scheinwerfer wurden auch nie abgestellt und strahlten ständig in allen möglichen Farben das Feld oder die Tribünen an. Disko oder Fußball? Das ganze wirkte irgendwie vollkommen abgedreht und unecht, es sah nach allem möglichen aus, nur nicht nach einem Fußballspiel. Ein tolles Event für den Eventzuschauer von morgen, der einfach nur unterhalten werden will. Bloß nicht nachdenken, einfach nur konsumieren und nächstes Jahr geht man dann halt zum Eishockey, weil gerade das hip ist.

Als das Spiel dann endlich begann, stellten wir als neutrale Besucher sehr schnell fest, dass sich durch den Einstieg von Red Bull ein tiefer Riss durch die Fangemeinde zieht. Und ich rede hier gar nicht mal von den Leuten, die einfach nur hingehen, weil es jetzt hipp ist, sondern wirklich von den Fans, die auf der dortigen Südtribüne stehen. Diese wurde übrigens nach ersten Protesten einfach mal halbiert, um den Pöbel klein zu halten. Erschreckend, wie wenige merken, was sich da abspielt, sie merken nicht, dass auch sie als Red Bull-Befürworter fast schon abgewirtschaftet haben. In einem modernen Stadion mit einer modernen Marke wird es sicher bald keine Stehplätze mehr geben und Pöbelgesänge gegen den Gegner werden einer Marke wie Red Bull auf Dauer auch nicht gefallen. Aber noch denkt hier keiner so weit, noch sind viele einfach nur froh, erstklassigen Fußball mit der Hoffnung auf mehr sehen zu können. Andere, knapp 500 an der Zahl, sammelten sich im unteren Teil des Blockes und schwiegen, kein Gesang kam über ihre Lippen.

Dadurch fühlten sich offenbar jene motiviert, die sonst nur mitsingen, sich früher vom harten Kern bevormundet fühlten. Diese hatten nun eine Trommel dabei und ein paar Klatschrhythmen im Kopf. Die Stimmung war eintönig und einzig bei Schmähgesängen gegen Rapid Wien kam so etwas wie Emotion auf, ansonsten wirkte es oft wie aufgesetzt. Aber wie soll man auch für etwas wie Red Bull echte Hingabe zeigen können? Die gleichzeitigen „Salzburg“-Rufe wurden übrigens über die Stadionlautsprecher weitergetragen, dann wirkt es irre echt, aber vor allem lauter. Passt perfekt zum Kunstprodukt und der Gummibärenbande von Dietrich Matteschitz.

Wenn man bedenkt, was für eine tiefe Feindschaft zwischen Rapid und Austria herrscht, waren die folgenden 90 Minuten sehr lehrreich und speziell Rapid hat eine ganze Menge Respekt verdient. So ließen sie ab und an „Salzburg ist komplett weiß-violett!“ erklingen und über das ganze Spiel zeigten sie kritische Spruchbänder gegen Red Bull und alle handelnden Personen. Der harte Kern der Austria-Anhänger zollte mit Applaus diesen Spruchbändern Respekt. Ein paar Beispiele findet ihr unter Tornados Rapid

Als Rapid dann in Halbzeit zwei bald in Führung ging, kam es zu großen Streitigkeiten innerhalb des Blockes. Ein Teil der Violetten beklatschte die 1:0-Führung von Rapid, ihrem ehemaligen Erzfeind. Warum? Warum nicht? Da unten steht eben nicht mehr Austria auf dem Platz, sondern der Verein, bzw. das Unternehmen, dass die Austria vernichtet hat. Der echte Erzfeind sozusagen. Das konnten und wollten viele andere Fans nicht verstehen und so wurden Bierbecher geworfen, Leute bespuckt und mit Prügel bedroht. Das Publikum, das Red Bull haben will? Haha Leute, werdet wach, auch ihr seid bald unerwünscht. Red Bull will stylische Menschen in coolem Outfit, keine Menschen, die sich beim Fußball daneben benehmen.

Wirklich klasse war die Reaktion der Violetten, es gab praktisch keine. Die Leute blieben super diszipliniert, außer 2-3 zurückgeworfenen Bechern passierte nichts. Alles andere hätte auch nur einem genutzt, Red Bull. In Deutschland wären in einer solchen Situation übrigens mindestens 100 Grüne in den Block gestürmt, hier reichten ein paar Fans, die die anderen beruhigten.

Nun kam es zu „Ultras raus!“-Rufen, dabei vergessen oder übersehen die Rufer übrigens, dass von den 500 Personen unten am Zaun vielleicht 200 der Ultra-Szene angehören, der Rest waren ganz normale Fans, auch einige wirklich alte Fanclubs. Das Feindbild „Ultra“ macht es den Leuten dann aber einfacher, so muss man nicht differenzieren und sich keine Gedanken machen.

Als sich das Spiel dem Ende zuneigte, versammelten sich alle Violetten unten am Zaun. Ab der 89. Minuten sang man 19:33 Minuten violette Lieder und zeigte, was echte Fußballstimmung sein kann (der Verein wurde 1933 gegründet und stieg 1989 wieder in die Liga auf, daher diese Zahlen). Erstmals wackelte die Tribüne wirklich und nicht nur sprichwörtlich, was in den 89 Minuten zuvor nicht einmal der Fall war. Natürlich kann sich Red Bull das nicht bieten lassen, echte Stimmung gibt’s nicht, also wird sie durch die Stadionboxen tot geballert, oder aber auch nicht, die Leute hielt es jedenfalls nicht vom Singen ab.

Nach dem Spiel unterhielten wir uns noch mit länger mit einigen der Violetten, sie leiden zurzeit schrecklich. Die Tradition der Austria lebt zumindest in ihnen weiter, ob sie es noch lange aushalten, der Stachel im Fleisch von Red Bull zu sein, wird man sehen. Vielleicht sollten sie einfach über eine Neugründung nachdenken, so wie es die Fans von Wimbledon und jetzt auch Fans von Manchester United getan haben. Denn das, was im EM-Stadion jetzt stattfindet, hat mit Austria Salzburg nun mal gar nichts mehr gemein – mit Fußball allerdings auch nicht viel mehr.

Und da möchten wir zum Ende noch den Experten sprechen lassen. "Das ist eine sehr, sehr kleine Anzahl von Fans, denen es wahrscheinlich nicht einmal so sehr um den Sport geht, für die Sport ein Mittel zum Zweck ist, um randalieren zu können. Sie erwarten nicht von mir, dass ich dem gegenüber sehr viel Verständnis zeige? Ich kann ja nicht mit einem lila Bullen spielen, wenn die Marke Red Bull heißt. Einem wirklichen Fußballfan geht es doch bitte um guten Fußball und nicht um "colour me beautiful"!"

Das sollte man vielleicht einfach so stehen lassen, es zeigt jedenfalls mehr als deutlich, wie viel Herr M. vom Fußball und seinen Fans versteht. Leider zeigt das derzeitige Ergebnis aber auch, dass zu viele sich dem Schicksal ergeben und ihnen Austria schon früher eigentlich scheißegal war, es war halt ein Erstligist.

Alles in allem muß ich festhalten, dass das schlimmste Erlebnis für mich als Fußballfan war. Wenn das der moderne Fußball ist, wenn das das ist, was sich viele Fußballinteressierte wünschen, gute Nacht. Dann lieber Kreisliga C mit Freunden am Bierstand als diesen fürchterlichen Müll.

Ein kleiner und letzter Nachtrag noch: Gespräche indes wird es nicht geben, wie Red Bull verlautbaren lässt. "Keine Kompromisse. Das ist ein neues Team, ein neuer Klub. Es gibt keine Tradition, es gibt keine Geschichte, es gibt kein Archiv."

Jens,1. August 2005

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