Eua Senf

Geerbte Tradition

14.02.2017, 11:15 Uhr von:  Gastautor

Darf ich vorstellen: Mein Baby. Nee, ich meine ausnahmsweise mal nicht meine Frau. Ich meine meine Trommel. Bescheuert oder was?, wird sich sicherlich der ein oder andere denken. Mir doch egal, denn sie erzählt mehr Geschichten als manch ein Kunde, der am Samstag im "Gäste" - Block stand, aus seinem ganzen Leben zu erzählen hat. Seit nunmehr 16 Jahren trage ich mein Baby zu jedem Spiel von Borussia.

Aber fangen wir doch mal von vorne an:

Papa? Wo fährst Du hin? - Ich fahre nach Dortmund. Papa? Was ist in Dortmund? - Dort spielt Borussia. Papa? Nimmst du mich mal mit? - Aber sicher, Thommy!

Ein Dialog, der mein Leben in völlig andere Bahnen lenkt als eigentlich von dem ein oder anderen geplant. Ich war gerade einmal fünf Jahre alt. Ich fand mich auf einmal im Zug wieder, in den wir in Werl eingestiegen sind und der uns nach Dortmund bringen sollte. Um mich herum Menschen, die alle die selben Farben trugen und einfache, aber dennoch interessante Lieder sangen. Irgendwie angsteinflößend für so nen kleinen Steppken wie mich, aber total mein Ding!

Es ging an der Wurstbude vorbei zum "Ardeyblick". Einem Kleingartenverein mit kleiner Kneipe in Steinwurfnähe zum Westfalenstadion. Ein paar Dosen Cola später ging es von dort aus zum Westfalenstadion. Vorbeigeschleust am Ordner, der die Dauerkarten meines Vaters, meines Onkels und „Ecke“ abknippste. Und da stand ich plötzlich. Mitten auf der Süd. Doch sehen konnte ich leider nix, ich war ja zu klein. Also nix wie rauf auf Onkels Schultern. Bei Papa auf die Schultern geht ja nicht, denn er hat ja keine... Contergangeschädigt: weisste Bescheid?! Auf einmal sah ich die Menschen um mich herum. Diese Begeisterung in ihren Augen, das faszinierte mich! In der Halbzeit Wechsel; ab auf Eckes Schultern. Wie das Spiel endete, weiß ich leider nicht mehr. Egal! Ich war infiziert. Von nun an fuhr ich regelmäßig zu den Heimspielen von Borussia.

Nun ein kleiner Zeitsprung: Im Jugendalter war ich auf der Suche nach neuen "Herausforderungen": Ich suchte einen neuen Standort auf der Süd. Papa war in diesem Alter ja nur peinlich; stimmte zwar nicht, war in diesem Alter aber so. Ich hörte bei einem Heimspiel im Jahre 2000 plötzlich dieses Wummern... Doch wo stand ich eigentlich? Ah OK... Block 13 hinter den Trommlern. Ich war gefesselt! Ich kam mit den drei Trommlern ins Gespräch. Es war das letzte Spiel vor der Winterpause. Ich fuhr nach Hause und erzählte während der Fahrt Papa, Ecke und meinem Onkel davon. Dann kam der 24.12.2000; Heiligabend. Da stand sie unterm Weihnachtsbaum: Meine Trommel. Mir stand die Pisse in den Augen, geb ich zu! So glücklich war ich. Von nun an nahm alles seinen Lauf.

Erstes Rückrundenspiel 2001. Ich hing mein Baby über die Schultern und trug es erstmalig ins Westfalenstadion. Ich stellte mich bei all den Leuten um mich herum vor und wurde gleich herzlich aufgenommen. Ich war sofort erstaunt, was man mit ein paar Schlägen auf dieses simple Musikinstrument entfachen kann. Selbst die Jungs von "The Unity", die damals noch in der Mitte der Tribüne standen, zogen mit. Dieses ist heute leider nicht mehr so, aber hey: Wenn die meinen, dass es der richtige Weg ist, jemanden zu ignorieren...Bitte schön. Schon sehr bald folgten die ersten Auswärtsfahrten. Mein Baby natürlich immer mit dabei. Man war auswärts auch trotz sportlicher Misere ein absolutes Brett als Gästeanhang. Ich fand sehr schnell Kontakt zum damaligen Vorsänger. im Einklang mit ihm brachten wir jeden Gästeblock zum Beben! Gipfelnd darin, als der Stadionsprecher in Nürnberg die mitgereisten BVB-Fans im Oberrang bat, nicht mehr zu hüpfen, da die Statik des Stadions eine so heftige Art der Erschütterung nicht zulässt... Gänsehaut! Gemeinsam mit meinen Jungs von den Blackstars Werl fuhren mein Baby und ich durch die ganze Welt. Ja richtig gehört! Ich war mit meinem Baby überall. Auch setzte ich mich über 50 Stunden in den Bus, um ein Spiel in der Ukraine zu besuchen. Egal, alles für den Ballspielverein.

Genau das ist diese Tradition, die von unseren Ultras gelebt und gefordert wird. Jetzt stellt sich mir allerdings die Frage, warum man in den eigenen Reihen diese seit Jahrzehnten gelebte Tradition schützen möchte, diese aber seit Jahren mit Füßen tritt. Das ganze fing für meine Person mit dem Niederlegen der Aktivität des damaligen Vorsängers an. Jahrelang haben wir zusammen die Blöcke in anderen Stadien sowie die heimische Süd gerockt. Nach seinem Ausscheiden auf dem Podest kamen logischerweise neue Vorsänger. Von nun an war nichts mehr, wie es war. Schleichend aber sicher wurde man von der Ultraszene nicht mehr wahrgenommen, geschweige denn respektiert. Dieses gipfelte schlussendlich mit dem Pokalspiel in Düsseldorf 2011. Ich hing mein Baby am oberen Aufgang auf, wie immer halt bei Auswärtsspielen. Plötzlich kam eine Gruppe Junger Borussen (ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl) herauf und positionierte sich neben mir. Soweit kein Problem, immerhin macht man Support nun mal gemeinsam. Befremdlich wurde es allerdings, als Worte fielen wie „ich Wichser sollte mich mit meinem „Taktzerstörer“ verpissen“. „Achso“ dachte ich und nahm irritiert meine Trommel ab und zog mich weiter links in den Block. Nach dem stetigen Anstieg solcher Vorfälle im Laufe der Zeit sah ich keine Veranlassung mehr, mein Baby mit zu Auswärtsspielen mitzunehmen. Bringt ja eh nix, wenn man Lieder anstimmt, aber die Ultragruppen aus purer Ignoranz (oder warum auch immer) plötzlich nicht mehr mitzogen.

Leider zieht er sich bis heute durch, der rote Faden. Pure Ignoranz. Das eigene Süppchen ständig selbst kochend. Zum Kotzen! Versuchte Kontakaufnahme zu Gesprächen: negativ.

Eine kleine Zeitreise nach hinten: Stolz war ich ja auf meinen Papa schon immer. Nicht zuletzt auf das Erbe was er mir als Borusse hinterlassen hat. Die BVB-Fans waren in ganz Europa bekannt, nicht negativ, sondern positiv. Dazu hat mein Papa beigetragen. Reisen durch Europa und geile Abende mit gastgebenden Fans in der ganzen Welt. Nix mit Theater oder Schlägereien, sondern pure Freundschaften. Es ergaben sich Fanfreundschaften zum HSV, 1860 München, Celtic Glasgow uvm. Was bleibt denn bis heute davon??? Nichts. Mitlerweile sind die BVB-Fans dafür bekannt, Gästeblöcke abzufackeln, Fanutensilien unter Gewalt an sich zu reißen und zu präsentieren oder eben wie am Samstag auch Kinder und Frauen mit Steinen und Flaschen zu bewerfen. Sicherlich, das Konstrukt RB ist schlichtweg SCHEISSE! Aber dennoch, auch hier reißt unsere aktive Fanszene das mit dem Arsch ein, was andere in Jahrzehnten mit bloßen Händen aufgebaut haben. Das nennt ihr Tradition erhalten?! PFFF. Zu Tradition erhalten, gehören eben auch diese Dinge wie bestehende Strukturen zu erhalten und auszubauen. Das hat im übrigen auch nichts mit Fanfreundschaften wie ARIS oder den Boyz Köln zu tun. Diese dienen vorrangig doch unter anderem auch der Stärkung in sagen wir mal… „Brenzligen Situationen“.

Was bleibt, ist für mich abschließend die Frage, wie es weiter geht? Ich für meine Begriffe lebe meine Traditionen weiterhin friedlich aber bestimmend. Das hat nichts damit zu tun, dass ich der Fußballfan bin, den der DFB gerne hätte, sondern schlichtweg der gesunde Meschenverstand, der in mir steckt. Auch das ist die Tradition, die mein Papa mir vermacht hat. Friedlich, aber immer laut gegen das, was uns in unserer Tradition bedroht!

Und jetzt ihr…

geschrieben von Thomas

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