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RB Leipzig ist das Symptom, nicht das Problem - Warum 50+1 stirbt

12.09.2016, 19:52 Uhr von:  Sascha
RB Leipzig ist das Symptom, nicht das Problem - Warum 50+1 stirbt
Protest gegen Leipzig - Hier bei dem Spiel gegen unsere Amateure

RB Leipzig ist in der ersten Bundesliga angekommen. Ein Verein, der bereits in der Vergangenheit für viel Widerstand gesorgt hat. Dabei ist RB Leipzig nur der vorläufige Höhepunkt einer stetigen Aushölung der 50+1-Regel. Eine Entwicklung, die nur erfolgen konnte, weil DFL und DFB sich eigentlich nie für den Erhalt eingesetzt haben.

Ja, Ergebnis hin oder her, RB Leipzig ist und bleibt eine Perversion des sportlichen Gedankens, weil nicht der Wettbewerb, das Kräftemessen im Vordergrund stehen, sondern die kontinuierliche und allumfassende Präsentation eines Konzerns. Mehr Argumente braucht es eigentlich nicht, weil man sich damit nur entweder anfreunden kann oder eben nicht. Alles andere ist eine Detaildiskussion. Ist eine KGaA wirklich besser als eine AG oder eine GmbH? Und alles zusammen schlechter als ein eingetragener Verein? Letztendlich lassen sich für alles Vor- und Nachteile finden. Und selbst die Frage, ob ein „Verein", bei dem der Marketingaspekt und nicht der sportliche ganz oben auf der Agenda steht, seinen Platz im Profifußball verdient hat oder nicht, streift den eigentlichen Kern nur am Rande: Die Frage nach der Verantwortlichkeit von DFB und DFL für den Fußballsport.

Egal, was man bei RB Leipzig kritisieren mag, man kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie 50+1 nicht einhalten. Ihr Konstrukt mit einer GmbH, bei der 1 % des Stammkapitals die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder stellt, entspricht den Formalien dieser Regel. Und eigentlich müsste man dem österreichischen Brausekonzern fast dankbar sein, weil diese Organisation so offenkundig zwanghaft und unlogisch in die bestehenden Regelungen gepresst wurde, dass sie die Janusköpfigkeit des Profifußballs wunderbar karikiert. Die 50+1-Regel ist für die Verantwortlichen nichts mehr weiter als eine nervige Formalität, die man einhalten muss, weil man sie nicht einfach ohne größere Diskussion in der Öffentlichkeit streichen kann. Der Ursinn dieser Regel, die Lenkung des Fußballs im deutschen Vereinswesen zu verankern, ist schon lange unter einem Berg von Ausnahmeregelungen und Kompromissen begraben.

Dabei muss man nicht einmal die offenkundigen Ausnahmeregelungen für Leverkusen und Wolfsburg herbeiziehen, die Öffnung des Fußballs für Kapitalgesellschaften an sich war der wohl größtmögliche Sündenfall in der Geschichte von 50+1. Seitdem geht es nur noch darum, diese Regelung möglichst kreativ und gewinnbringend zu umgehen. Glaubt denn irgendjemand, dass bei unserem BVB eine Firma wie Puma keinen Einfluss auf die Geschicke nimmt? Puma ist Ausrüster, Großaktionär und, wie man so hört, Mitfinanzier von Marco Reus. Ein Paket, das den Sportartikelhersteller deutlich über hundert Millionen Euro kosten dürfte. Da kann man noch so sehr auf die Stellung als nichtstimmberechtigter Kommanditist innerhalb der KGaA hinweisen, zu glauben, dass große Konzerne derartige Geldbeträge in die Hände der Geschäftsleitung legen und dann hoffen, dass damit schon vernünftig gearbeitet wird, ist weltfremd.

Und wie wahrscheinlich ist es in München, dass in der AG der FC Bayern München aufgrund der Kapitalstruktur mit 75,01 % der stimmberechtigten Anteile die Marschrichtung vorgibt, wenn adidas innerhalb von zehn Jahren unglaubliche 900 Millionen Euro als Ausrüster in den Club pumpt? Oder dass der eingetragene Verein in Gelsenkirchen, auf den unsere Nachbarn gerne so stolz verweisen, tatsächlich der Herr im eigenen Hause ist, wenn man lange Zeit finanziell am Gazpromtropf gehangen hat?

Was hat das alles noch mit dem viel zitierten Geist von 50+1 zu tun? Rein gar nichts. Die Regelung ist aus Sicht der Vereine und der Unternehmen nichts weiter als ein Störfaktor, der in Deutschland zwischen den Fußballclubs und den Filetstücken der Konzerne, den echten stimmberechtigten Anteilen, welche die direkte und formelle Einflussnahme ermöglichen, steht. Und so arbeit man kontinuierlich daran, diesen Störfaktor abzubauen. Vielleicht hat man damals mit der „Lex Leverkusen" und der Öffnung für Kapitalgesellschaften die Tür nur versehentlich geöffnet, weil 1998 noch gar nicht absehbar war, in welche finanziellen Dimensionen der Fußball vorstoßen würde, aber in der Folge gab es auch keinerlei Versuche, diese Tür wieder zu schließen – oder auch nur eine weitere Öffnung zu verhindern.

So gab man zum Beispiel Hannovers Präsident Kind nach, der drohte, über die Rechtmäßigkeit der Regelung den europäischen Gerichtshof entscheiden zu lassen. Das war, so ehrlich muss man sein, ein schwerwiegendes Argument, weil der EuGH dafür bekannt ist, nationalen Wettbewerbsbeschränkungen eher skeptisch gegenüberzustehen. Aber seitens DFB und DFL hätte man auch hart dagegen halten und Hannover mit einem Ausschluss drohen können, falls der Verein den Weg vor ein ordentliches Gericht sucht. In anderen Fällen verteidigt man nämlich hartnäckig das Privileg einer eigenen Sportgerichtsbarkeit. Mit dem SV Wilhelmshaven ist man zum Beispiel nicht so zimperlich vorgegangen, als der Verein ein ordentliches Gericht zur Klärung eines Streitfalls anrufen wollte.

Stattdessen wurde ein Kompromiss geschlossen und der Stichtag 01.01.1999, ab dem ein Investor oder sonstiger Geldgeber den Verein ununterbrochen und erheblich gefördert haben muss, wurde gestrichen. Dadurch endet die Frist, ab der Herr Kind Hannover 96 komplett übernehmen kann, bereits zwei Jahre früher. 50+1? In Hannover liegt diese Regel bereits jetzt in den letzten Zügen.

Und dann kam Red Bull und die Lizenzübernahme des SV Markranstädt. Obwohl das Konstrukt RB Leipzig selbst in seiner überarbeiteten Struktur mit satten 17 stimmberechtigten Vereinsmitgliedern, die ihre Mitgliedschaft zum Schleuderpreis von bis zu 1.000 € erhalten haben, ganz offenbar eine massive Beugung der Regelung darstellt, wurde es von DFB und DFL letztendlich schnell durchgewunken. Der damalige DFL-Geschäftsführer Rettig kündigte erst einen harten Widerstand gegen den Emporkömmling an, nur um dann nach ein paar geringfügigen und optischen Korrekturen genau so schnell wieder einzuknicken. Wäre es nicht so traurig, könnte man fast darüber lachen, dass von dieser Seite die kaum auffälligen Änderungen am originalen Red Bull-Bullen im Logo des Leipziger Fußballablegers als Lösungsvorschlag akzeptiert wurden.

Daher kann man auch Mateschitz und Co. kaum einen Vorwurf machen. Dass diese Möglichkeit, einen Fußballverein als Werbetafel zu installieren, mal jemand versuchen würde, war angesichts der Entwicklungen in den letzten zehn Jahren fast schon zwangsläufig. Es wird Zeit, die wahren Schuldigen an dieser Entwicklung zu benennen: eben DFB und DFL. Es gab zu keiner Zeit nennenswerte Gegenwehr gegen die schrittweise Aushöhlung von 50+1. Auf die Ausnahmen Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim hätte Fußballdeutschland beispielsweise locker verzichten können, um die Position der Regel zu stärken, eine Rückabwicklung war jedoch nie ein Thema. Der Volkswagenkonzern als größter Sponsor wäre wohl bereits schon bei derartigen Gedankenspielchen nicht amüsiert gewesen. Im Falle von Leipzig gibt es Widerspruch nur dort, wo es populistischen Eigeninteressen genügt: in der Tagespresse. Ernsthafter Widerstand damals bei der Zulassung zur DFL? Fehlanzeige.

Die 50+1-Regel siecht dahin und es scheint, als könnten die Vertreter der Proficlubs sich nur mühsam gedulden, bis sie endgültig abgeschafft wird, um endlich den Wettbewerb um die großen Geldtöpfe aufnehmen zu können. Unerwartete Hilfe könnten sie dabei von einem Professor bekommen, der juristisch überprüfen lassen möchte, ob sich eingetragene Vereine überhaupt in Fußballkonzernen betätigen dürfen, da der Vereinszweck eigentlich nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausgerichtet sein darf. Die Forderung an sich ist nichts Ungebührliches. Es geht dabei rein um eine Prüfung, ob die jetzige Praxis überhaupt mit geltendem Recht in Einklang steht. Ob die Mehrheitsbeteiligung in Konzernen, die bis zu über eine halbe Milliarde Umsatz pro Jahr erwirtschaften, dem Grundgedanken des Vereinsrechts entspricht, darf dabei gerne bezweifelt werden. Und es wirkt fast wie ein Hohn, wenn derartige Vereine auch noch das Siegel der Gemeinnützigkeit tragen.

Bei einem entsprechenden Gerichtsbeschluss würde aus dem langsamen Ende von 50+1 ein abruptes. Die Regel kann endgültig nicht mehr aufrechterhalten werden, wenn Vereine sich auf diesem Gebiet gar nicht mehr betätigen dürfen. Spannend ist jetzt, wie sich die beiden Verbände verhalten werden. Zwar würde das für alle Vereine große organisatorische und strukturelle Änderungen nach sich ziehen, aber diesen „Hemmschuh" wäre man ein für alle mal los. Ein Schelm, wer dabei vermutet, dass die Gegenwehr vor Gericht auch nicht größer ausfällt, als die gegen Red Bulls Einstieg in die Bundesliga.

Der Fußball hat sich in den letzten 15 Jahren deutlich geändert und für die nächsten 15 Jahre stehen weitere, massive Umwälzungen ins Haus. Nachdem die großen europäischen Clubs bereits im Handstreich ein aktuelles Führungsvakuum in der UEFA ausgenutzt haben, um sich größere Finanzanteile zu sichern, tauchen direkt im Anschluss schon Aussagen zu den Plänen einer Weltliga auf. Bereits jetzt ist sind die Aussagen zu konkret, um sie komplett in den Bereich der Fabel zu verweisen. Eine derartige Liga würde die bekannten Strukturen mit den nationalen Ligen und europäischen Pokalwettbewerben komplett aufbrechen und verändern. Aber egal, ob es sich dabei um Pläne handelt, die hinter den Kulissen bereits vorangetrieben werden oder nur um eine weitere Drohkulissen der Großclubs, eins ist klar: Der Fußball will globaler werden und noch mehr Geld einnehmen.

Und in diesem Bestreben werden die deutschen Vereine versuchen, auch noch die letzten Ketten, die ihnen 50+1 auferlegt, abzustreifen. Einige arbeiten aktiv daran mit, andere lassen sie dabei gewähren. Aber alle tragen sie ihren Teil dazu bei. Red Bull Leipzig ist dabei nur das Symptom einer umfassenden Veränderung und nicht der Schaden an sich. Die Frage ist deshalb nicht, ob man mit diesem Verein in der Bundesliga leben kann oder nicht – sondern die, in wie weit man sich noch für das ganze System begeistern kann.

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