Eua Senf

Fußball kann schön sein

14.09.2016, 09:33 Uhr von:  Gastautor
Fußball kann schön sein

Gastautor Phil war mit seiner Familie in der Roten Erde bei der Protestaktion "Weil wir den Fußball lieben" und wünscht sich mehr davon.

Am frühen Samstagnachmittag versammelten sich unter dem Strich um die 7.000 Menschen im alten und ehrwürdigen Stadion namens Rote Erde. Die Sonne schien und es herrschte eine wundervolle Stimmung. Friedlich, entspannt, locker und trotzdem mit einer Atmosphäre, wie man sie im Stadion auch haben will.

Und dies bei einer, wenn man den Medien glaubt, „Protestveranstaltung“ im Zuge eines „Boykotts“, welcher von „den Ultras“ initiiert worden war. Jenen Ultras, die angeblich eine ständige Gefahr für den Fußball sind und deren Anwesenheit dazu führe, dass man mit seinen Kindern heutzutage nur noch mit „Bauchschmerzen“ in ein Fußballstadion gehen könne.

Im Vorfeld der Partie Rasenballsport Leipzig gegen Borussia Dortmund war viel geredet worden. Und auch gestritten. Und trotz aller Erklärungsversuche und auch zum Teil schon Aufklärungsversuche seitens der Initiatoren blieben die allermeisten Berichterstatter dabei, von einem „Boykottaufruf“ durch „die Ultras Dortmund initiiert“ zu sprechen, welcher dann „krachend“ gescheitert sei, weil der Gästeblock des Stadions in Leipzig dennoch sehr schnell ausverkauft war. Viele Berichterstatter wussten dies sogar auf die Minute genau zu benennen, wie schnell dies geschah. Der eigentliche Ansatz (nochmal hier zum nachzulesen) der Gegenveranstaltung, also auch wer diese erdachte und trug, wurde entweder komplett ignoriert oder aber falsch dargelegt. Es waren am Ende über fünfzig Fanklubs an dem „Erdenken“ der Gegenveranstaltung beteiligt. Es war schwatzgelb.de beteiligt. Und es waren auch die drei in Dortmund zu findenden Ultra-Gruppierungen beteiligt. Alles in allem trafen sich wohl über hundert Personen, um darüber zu beraten und abzustimmen, wie man mit dem Spiel gegen RB Leipzig umzugehen gedachte.

Leider, muss man aus heutiger Sicht sagen, wurde diese breite Basis und die Grundidee fast durch alle berichterstattenden Medien ignoriert oder einfach nicht zur Kenntnis genommen.

Und dann kam der Samstag. Zum Glück im Gepäck mit fast 30 Grad. Und unter dem Strich für die allermeisten dann doch überraschend füllte sich das Stadion „Rote Erde“ schon zu recht früher Stunde immer mehr. Am Ende kam es zu einer wirklich großartigen Kulisse von um die 7.000 Zuschauern (darunter auch viele aus Wuppertal). Es waren wohl sehr viele jener Fans, die es zum einen durch die räumliche Nähe ermöglichen konnten zu kommen, aber zum anderen auch ein Zeichen setzen wollten: „Weil wir den Fußball lieben.“

Dieser schöne Titel dieser Gegenveranstaltung traf auf diesen Tag dann wirklich in fast allen Facetten zu. In welcher Facette nicht, kläre ich am Ende des Textes auf.
Wer als vierköpfige Familie dieses Fußballspiel besuchen wollte, konnte (je nach Alter der Kinder) mit 16 Euro Eintritt hinkommen. Ein (nicht alkoholisches) Getränk für 2,50 Euro machte das Portemonnaie auch nicht gerade leerer (auch weil es, leider, viel zu wenig Getränke/Mitarbeiter gab). Unter dem Strich konnte man an diesem Samstagnachmittag für 30-40 Euro mit vierköpfiger Familie einen schönen Tag mit Fußball gucken verbringen.

Die Menschen standen beisammen, unterhielten sich über Fußball (oder was auch immer), ließen sich die Sonne auf den Rücken scheinen und tranken ihr Bier und ihre Cola bei einer Bratwurst. Es war jede Menge Bewegungsfreiheit im Stadion und gerade für die jüngeren Zuschauer gab es jede Menge Platz, um das auf dem Platz Gesehene direkt auch einmal selbst auszuprobieren.

Die Atmosphäre hätte kaum stimmungsvoller und zugleich entspannter sein können. Gerade auch mit Kindern. Der BVB vereinte hier wirklich „geschlossen Hand in Hand“ die Generationen. Und dies, obwohl tatsächlich die so genannte „Szene“ vor Ort war. Und genau das war die Botschaft, die in meinen Augen alle von diesem Tage mitnehmen sollten. Man hatte sich endlich mal wieder „zusammengefunden“ und einen gemeinsamen Nenner gefunden. Und im Resultat einen für alle tollen Nachmittag erschaffen. Es war kein negativ besetzter, wie so oft (und auch hin und wieder zu Recht) destruktiv genannter Protest.

Hinzu kam auch, vor allem zur Begeisterung der vielen jungen Zuschauer, dass die Spieler sich im Anschluss mehr als nahbar zeigten und sich in die Mitte ihrer Fans begaben. Sich Zeit nahmen und natürlich den Eindruck machten, dass sie wirklich zu schätzen wussten, welch große Kulisse ihnen da geboten wurde. Und wer die leuchtenden Augen der Kinder sah, als die Spieler ihnen die Hand reichten, der wusste allein deswegen schon, wofür dieser Nachmittag gut war.

Und so gingen am Ende des Spiels viele Zuschauer zufrieden nach Hause. Und ungefähr 1.000 blieben noch, um auch dem Spiel der Profis via Radio zu folgen und den Sonnenuntergang im Stadion zu genießen.

Und ich hoffe auch, viele gingen mit dem Gefühl, dass man dort etwas mitgemacht hatte, welches als Protest wunderbar funktionierte und auch die Grundidee komplett vermittelte. Alle, die dort waren, lieben den Fußball. Und warum dem so ist, konnte man am Samstag erleben. Dass der BVB als Verein und Konzern sich nicht bemüßigt sah, außer aus der Fanbetreuung einen hochrangigen Vertreter zu entsenden, muss an dieser Stelle leider auch erwähnt werden. Der Gegenveranstaltung, positiv besetzt wie sie war, derart wenig Unterstützung zukommen zu lassen – und sei es, indem man all die mediale Macht des Konzerns genutzt hätte, um eindeutige Fehler in der Berichterstattung klarzustellen – spricht auch für sich.

Leider, um die Ausssage aus dem Text zu beantworten, welche Facette nicht funktionierte, war das Fußballspiel auf dem Platz nicht so mitreißend, wie es dieser Nachmittag verdient gehabt hätte.

Und dennoch bleibt zu sagen: Davon gerne mehr. Sowohl als Erlebnis als auch als Form eines Protest gegen die Entwicklungen des Fußballs. Das war alles und durchweg hervorragend. Und all jenen, die nicht dabei waren, will ich auf dem Weg mitgeben: Kommt beim nächsten Mal auch, es lohnt sich!

Denn alle, die dort waren, haben das klare Signal ausgesendet, dass man sich an diesem Nachmittag noch einmal auf die Wurzeln des Fußballs besann, auf seine Tradition. Und der Ort, das Stadion „Rote Erde“, war dafür die richtige Bühne, denn dieser Ort ist einer der wesentlichen für den Verein und am Samstag waren auch Menschen anwesend, die den BVB damals schon dort verfolgten und heute die jungen Fans und deren Kinder dort sahen.

Es war ein positives „Sit-in“, welches zeigen sollte, dass es Fußballfans gibt, die nicht damit einverstanden sind, wie der Fußball sich entwickelt und ja, auch wie der BVB sich entwickelt. Es war ein Statement dafür, dass man sich auch in zehn Jahren noch Fußballspiele in einem Stadion der ersten Ligen anschauen kann, ohne gleich einen „Kredit“ dafür aufnehmen zu müssen. Und es war ein Zeichen an all die Funktionäre, dass die große Mehrheit und Basis der sogenannten „aktiven Fans“ (die weit über die Ultrabewegung hinausgehen), sich irgendwann abwenden werden und einer anderen Nische zuwenden. Was einfach unglaublich traurig und schade wäre, weil es die Einheit, die der Fußball darstellen kann und die auch Borussia Dortmund darstellt, zerstören würde. Denn das ist es auch, wofür uns viele Menschen in Europa, zum Beispiel in England, beneiden.

Somit war der Samstag, wie so oft zu hören war, kein destruktiver Protest der ewig gestrigen Kommerzverweigerer aus dem Dunstkreise der Ultrabewegungen.

Es war ein Aufstand der aktiven Fanbewegung, die es so in Deutschland nun schon so viele Jahrzehnte gibt und die einfach ihrer Liebe zu diesem Spiel Ausdruck verliehen hat. Und der Hoffnung, dass doch noch nicht alles verloren ist und es weiterhin ein „Kommerz mit Herz“ geben kann und ein Nebeneinander der „Fußallwelten“. Für ein als Fußballkonzern getarntes Werbeprojekt jedoch wird dort nie Platz sein. Und sollte es auch nicht.

geschrieben von Phil

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